Wissembourg (Foto: Stefan Miller)

Superlative in Wissembourg

Ein Überraschungsbummel durch die Kirchengeschichte

Stefan Miller  

Das angeblich älteste figurative Kirchenfenster der Welt, Spuren des ersten namentlich bekannten Vertreters der deutschsprachigen Literatur oder auch eine der ältesten Glasmalereien des Elsass - all dies und noch viel mehr findet man in Wissembourg. Auch die Architektur verdeutlicht die wechselvolle Geschichte der Stadt.

Wie wäre es mit einem kleinen Bummel durch das romanische Wissembourg? Zugegeben vieles, was dort steht, ist erst nach der Romanik entstanden, aber eine Spurensuche lohnt sich, denn der Ort steckt voller Superlative.

Superlativ Nummer 1

Wissen Sie, woher das angeblich älteste figurative Kirchenfenster der Welt stammt? Es stammt aus dem kleinen Städtchen Wissembourg an der deutsch-französischen Grenze, ôutre forêt, also hinterm Wald, wie man in Haguenau sagt. Aber hinterwäldlerisch sind die in Wissembourg gar nicht, und ihre Kunstschätze können sich sehen lassen, wenn man sie denn überhaupt sieht, manchmal sind sie halt sehr versteckt.

Wissembourg (Foto: Stefan Miller)

Also der Christus von Wissembourg ist ein romanisches Gesicht mit schwarzen Linien auf Glas gemalt, 25 Zentimeter im Durchmesser. Er stammt aus dem 11. Jahrhundert. Das Original schmückte vermutlich einmal die Klosterkirche von Wissembourg und wird heute im Museum in Straßburg ausgestellt. Aber eine sehr genaue Kopie hängt in der romanischen Kapelle neben dem Kreuzgang der Kirche Sts. Pierre et Paul. Fachleute behaupten zwar, dass in Kloster Lorch noch eine ältere Glasmalerei gefunden wurde, aber die war nicht mehr vollständig.

Superlativ Nummer 2

In Wissembourg war im frühen Mittelalter richtig was los. Gleich zwölf Orden fanden dort ihren Sitz. Darunter die Benediktiner, die den bis heute berühmtesten Bürger der Stadt stellten: Otfrid von Weißenburg. Der erste namentlich bekannte Vertreter der deutschsprachigen Literatur. Er schrieb im 9. Jahrhundert ein Werk, das Evangelienharmonie genannt wird.

Es war eine Zusammenfassung der vier Evangelien in althochdeutschen Reimen, Endreime wohlgemerkt. Vorher hatte man Stabreime benutzt, also viele Wörter mit denselben Buchstaben begonnen. Das mit dem Endreim hat sich seither durchgesetzt. Ein Sandsteinrelief aus dem 19. Jahrhundert in der Avenue de la sous Préfecture nicht weit von Sts. Pierre et Paul, erinnert an diesen Pionier der Literatur.

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[SR 3, Stefan Miller, 29.07.2016, Länge: 2:21 Min.]
Audio: Tour de Kultur: Superlative in Wissembourg
[SR 3, Stefan Miller, 29.07.2016, Länge: 2:21 Min.]

Superlativ Nummer 3

Aus der romanischen Zeit ist außer der Kapelle mit dem Christusfenster in Wissembourg noch der Turm der Kirche Sts. Pierre et Paul erhalten. Den Rest dieses Baus hat man abgerissen, um eine gotische Kirche an dieser Stelle zu bauen. Außer den attraktiven Rippengewölben beeindrucken die Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert. Darunter eine wirklich riesige Darstellung des Christophorus, des Heiligen der Reisenden.

Mit 11,50 Metern Höhe ist es die größte Figur dieser Art in ganz Frankreich. Christophorus trägt ein Gewand mit roten und weißen Rauten. Auf seiner Schulter sitzt Jesus und gelangt so trockenen Fußes über das Wasser. Um klar zu machen, wie erbärmlich klein die Menschen neben diesen Giganten der Heilsgeschichte aussehen, hat man einen Mönch neben Christophorus knien lassen, der nicht einmal so groß ist wie dessen Fuß.

An der Wand des gegenüberliegenden Querschiffs findet man:

Superlativ Nummer 4

Naja, kein ganz echter Superlativ – eine der ältesten Glasmalereien des Elsass, eine wunderschöne romanische Fensterrose. Acht Medaillons mit pflanzenähnlichen Mustern sind um eine Mutter Gottes kreisförmig angeordnet.

Man kann noch viele Überraschungen in Wissembourg erleben. Denn die wechselvolle Geschichte der Stadt, spiegelt sich auch in deren Architektur. Die Klöster wurden langsam von den weltlichen Mächten verdrängt. Wissembourg wurde als freie Reichsstadt Mitglied des Zehnstädtebundes (Dekapolis).

Wissembourg (Foto: Stefan Miller)

Später fielen zahlreiche Kunstwerke der Französischen Revolution zum Opfer oder der Feuchtigkeit. Um den Boden in Sts. Pierre et Paul trocken zu legen, schichtete man 80 Zentimeter hoch Steine auf. Und weil die knapp waren, wurden kurzerhand zahlreiche Figuren und Schmuckelemente der Kirche mitverbaut, so dass man sie heute mit Füßen tritt.

Aber es sind ja nicht nur die Superlative die einen Bummel durch Wissembourg lohnen, sondern die vielen kleinen Fundstücke am Rand, die Geschichte sichtbar machen. Zum Beispiel die wohlproportionierte Kirche St. Ulrich in dem Vorort Altenstadt. Über ihrem Portal liegt ein großer Türsturz aus einer anderen romanischen Kirche. Darauf steht in lateinischer Sprache geschrieben, dass, wer dieses Kloster betreten möchte, um die Gunst des Abts Liuthar bitten möge.

Wissembourg  (Foto: Stefan Miller)

Im Inneren findet man hinter den gewöhnlichen Kirchenbänken noch sogenannte Richtstühle. „Im 17. Jahrhundert saßen hier die Richter bei Hexenprozessen“, erzählt mir Colette Moog, eine der Gästeführerinnen von Wissembourg. Mit ihr einen Bummel durch dieses hübsche Städtchen im Elsass zu machen, bedeutet, sich auf viele spannende Überraschungen gefasst zu machen. Sie hat noch eine Menge Entdeckungen parat.

Die merkwürdigen Schraffuren im Mauerwerk der Kirchen von Altenstadt und Surbourg zum Beispiel sind typisch für das 11. Jahrhundert, die Renaissancehäuser in der Altstadt oder die malerischen Fachwerkhäuser an der Lauter. Wissembourg ist sicher mehr als eine Reise wert, ein Ort voller Überraschungen zwischen Superlativen und kleinen Schätzen am Rande.

Stefan Miller


Auf einen Blick


Kontakt
Office de Tourisme de Wissembourg
11, place de la République - B.P. 80120
F-67 163 Wissembourg Cedex
Tel: (00 333) 88 94 10 11
Fax: (00 333) 88 94 18 82
E-Mail: info@ot-wissembourg.fr
www.ot-wissembourg.fr

Öffnungszeiten
Die Kirchen sind in der Regel ganzjährig geöffnet.

Eintritt
Der Eintritt zu den Kirchen in Wissembourg, Altenstadt und Surbourg ist frei.

Anfahrt
Von Saarbrücken über die A 620 oder A 623 auf die A 8 Richtung Pirmasens, von dort über die B 10 bis zur Abzweigung bei Hinterweidenthal auf die B 423. Die fährt man über Dahn durch das malerische Wasgauer Felsenland bis Wissembourg (Weißenburg). Die Fahrt dauert etwa eineinhalb Stunden. Altenstadt ist ein Vorort von Wissembourg. Surbourg liegt ungefähr 15 Kilometer Richtung Haguenau.



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