Industriespuren in Belval (Foto: Michael Schneider)

Schlummernde Ungetüme zwischen glitzernden Fassaden

Auf der Suche nach der Industriegeschichte von Belval

Michael Schneider  

Luxemburgs Minette-Region, einst Industrielandschaft, präsentiert sich heute lieblich und grün - so auch die Stadt Belval. Aber einigen stählernen Zeugen der einstigen Industriegeschichte kann man noch heute in einem Rundgang nachspüren: So ragt mitten zwischen all den Banken und Versicherungen ein Gerippe aus Stahl und Rost in den blauen Himmel. Der Hochofen B, einst Kernstück der Eisenproduktion in Belval.



Es tut sich was in Belval. Der Süden Luxemburgs erfindet sich gerade neu. Fassaden glänzen in der Frühlingssonne, kühn schwingt sich die Architektur gen Himmel, überall entstehen neue Cafés, Einkaufszentren, Eigentumswohnungen und Labore. Belval, das ist heute ein junges, modernes Viertel – ein Aushängeschild für das Großherzogtum. Doch es hat sich ein Stück seiner Geschichte bewahrt, und es lohnt sich, die zu erkunden.

Audio

Tour de Kultur: Auf der Suche nach der Industriegeschichte von Belval
Audio [SR 3, Michael Schneider, 10.07.2017, Länge: 02:57 Min.]
Tour de Kultur: Auf der Suche nach der Industriegeschichte von Belval

Letzte stählerne Zeugen

Mitten zwischen all den Banken und Versicherungen ragt ein Gerippe aus Stahl und Rost in den blauen Himmel. Der Hochofen B, einst Kernstück der Eisenproduktion in Belval. In seinem Schatten wartet schon Guy Bock mit einem babyblauen Helm auf mich. Einstellen, aufsetzen, probehalber mit dem Kopf wackeln – das muss sein, bevor wir unsere Expedition beginnen. Am Anfang geht es hinauf in die große Gießhalle. Auf Tuchfühlung mit dem Unterleib des Hochofenungetüms. Durch vergitterte Luken kann ich einen Blick ins Innere werfen – gähnende Schwärze. Zwischen armdicken Rohren und mächtigen Stahlträgern verschwindet das Abstichloch fast, die Rinne, durch die früher das glühende Roheisen floss – heute leer. Es herrscht friedliche Stille in der Halle. Aber das war nicht immer so.

Industriespuren in Belval (Foto: Michael Schneider)

„Früher war hier Lärm, Staub, Hitze – ja, Hitze auch“, erinnert sich Guy Bock. Er war damals Obermeister in der Roheisenerzeugung, in einer Zeit, als es hier alles andere als ruhig zuging. Im Schichtbetrieb wurde das Eisen abgestochen, bis Ende der Neunziger wurde der Reichtum des Großherzogtums auch hier erzeugt. Dann war Schluss, vor fast genau 20 Jahren stellte Luxemburg seine Roheisenerzeugung ein. Die bewegende Rede des damaligen Premierministers, Jean-Claude Juncker, an die Eisenarbeiter läuft in Dauerschleife über die Bildschirme in der Gießhalle. Ein Gänsehautmoment, auch heute noch. „Als wir den letzten Abstich gemacht haben, waren wir natürlich alle sehr traurig“, sagt Bock. „Aber wir haben doch den Hochofen sauber übergeben.“

Sauber ist es hier tatsächlich – Teile der Anlage sehen beinahe neuwertig aus. Kein Vergleich mit ähnlichen Anlagen etwa im Saarland oder Nordrhein-Westfalen. Belval soll „kein rein musealisches Projekt“ sein, sagen die heutigen Hausherren vom Fonds Belval. Und deshalb wurde hier ordentlich renoviert, ausgebessert, besuchergerecht umgebaut. „Ich denke, es ist sehr schön geworden“, sagt Guy Bock. „Auch wenn ein Teil der Anlagen, die für mich sehr wichtig waren, verschwunden ist“.

Industriespuren in Belval (Foto: Michael Schneider)

Zum Beispiel die Sinteranlage, die die Öfen einst mit Koks und Erzen fütterten. Sie ist dem Umbau von Belval zum Opfer gefallen, heute erstreckt sich hier ein zugiger Platz mit ein paar Sitzblöcken aus Beton. Ein bisschen verloren sieht das Ganze von oben aus, von der neunten Plattform des Hochofens. Über schmale Aluminiumtreppen geht es an der Außenseite des Hochofens hinauf, hier muss man schwindelfrei sein – und Kondition haben! 180 Treppenstufen gilt es zu erklimmen. Immer wieder muss ich dabei tiefhängenden Leitungen oder langen Reihen von Ventilhebeln ausweichen – und verstehe jetzt, warum ich hier einen Helm brauche. Zur Belohnung gibt es oben einen atemberaubenden Rundblick über das ganze Viertel und seine Fassaden. „Früher war hier Leben – heute ist es tot“, sagt Bock und schaut wehmütig in die Ferne.

Tatsächlich – die Rauchschwaden, die Arbeiterkolonnen, die Güterzüge sind verschwunden. Luxemburgs Minette-Region, einst Industrielandschaft, präsentiert sich heute lieblich und grün. Doch völlig tot ist dieses Viertel nicht. Vor ein paar Jahren sind die Studenten eingezogen, fast die Hälfte der Luxemburger Universität ist hier inzwischen zu Hause. Es gibt Kunstausstellungen, Konzerte, und überall wird gebaut. Doch immer mit Rücksicht auf kleine Inseln, in denen die Zeit stillzustehen scheint.

Industriespuren in Belval (Foto: Michael Schneider)

Als grüne Atempause ragen überwucherte Gebäudereste aus den modernen Plätzen und Alleen hervor. Sinterbecken, das Gerüst der alten Möllerei, die markante Gasfackel – all das können Besucher bei einem Rundgang auf eigene Faust erkunden. Und dabei den ganz besonderen Reiz erfahren, ständig zwischen Alt und Neu hin- und herzuwandern, gewissermaßen von einem Jahrhundert in das andere. Das ist es, was den besonderen Reiz von Belval ausmacht, die Kontraste, die krasser kaum sein könnten. Schmutz, Geschichte, Tradition auf einer Seite – Glamour, verwegene Architektur und Moderne auf der anderen. Mit der ausdrücklichen Einladung, einzutauchen in diese Welt der Gegensätze. Und das versöhnt am Ende auch Hochofenmeister Guy Bock mit Belval, wie es heute ist. „Sie müssen sich vorstellen: Früher war das hier eine verbotene Stadt“, erinnert er mich am Ende unseres Rundgangs, bevor ich meinen Helm zurückgebe. „Heute können wir alles zeigen, das ist das Schöne!“

Michael Schneider


Kontakt

Fonds Belval
Avenue du Rock ‘n’ Roll
Esch-sur-Alzette
(gegenüber Rockhal)

Tel.: (00352) 26 84 0-1
E-Mail: visite@fonds-belval.lu
www.fonds-belval.lu/Führungen

Öffnungszeiten

April - Okt.:
Mi. - Fr. 10.00 - 19.00 Uhr,
Sa. 10.00 - 18.00 Uhr,
So. 14.00 - 18.00 Uhr.

Eintritt

Erwachsene: 5,- €;
Kinder haben freien Eintritt.

Anfahrt

Von Saarbrücken über die A 620 und A 8/A 13 (in Luxemburg) in Richtung Luxemburg, dann weiter Richtung Esch halten. Ausfahrt Esch/Pétange, von dort ist die Rockhal ausgeschildert.

Geheimtipp

Besichtigungen bei Nacht am 5. August und 28. Oktober 2017.



Über dieses Thema wurde in der Sendung "Region" vom 10.07.2017 auf SR 3 Saarlandwelle berichtet.

Push-Nachrichten von SR.de
Benachrichtungen können jederzeit in den Browser Einstellungen deaktiviert werden.

Datenschutz Nein Ja