?Lesen im Urlaub?

"Lesen im Urlaub"

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 28.06.2024 16:45 Uhr

Nr. 994

Nicht dass Sie denken, ich wüsste dank unserer immer noch andauernden Nordlandreise nun gar nicht mehr, was in der Heimat so abginge. Doch, doch, keine Sorge: Ein online-Abo des heimischen Zentralorgans versorgt uns auch im Ausland mit einschlägigen Informationen.

Prima, auch wenn, so in Muße gelesen, die Anzahl der Druck-, Grammatik-, Stil- oder anderen Fehler ein bisschen deutlicher auffällt als im heimischen Alltagstrott. Hat wirklich niemand Zuständiges rechtzeitig bemerkt, dass Marga Herzog beim Dudweiler Statt-Theater nicht die „Organstation“ übernommen hatte sondern die Organisation? Wo sind all die fehlenden Worte in den Artikeln gelandet? Eingespart zugunsten der Sätze, die dafür mit zwei, möglichst verschiedenen, Verben enden? Leser oder Leserin können sich so immerhin per freier Verb-Wahl selbst an der Zeitung ihres Herzens beteiligen. Aber gut, das alles sind halt Ergebnisse der copy-and-paste-Tätigkeit überlasteter Zeitungsmenschen und freilaufender Rechtschreibprüfprogramme. Aber wer um alles in der Welt lässt minderbegabte Opfer schlechten Deutschunterrichts Tag für Tag die TV-Kritiken schreiben? Sorry.

Der Gerechtigkeit halber sei erwähnt, dass vieles vom hier Beklagten auch durchaus in den Spalten anderer Druckmedien gang und gäbe geworden ist. Und: Mir hätte auch was gefehlt, wenn ich zum Beispiel nicht lesender Zeuge davon hätte sein dürfen, wie sich ein SZ-Kolumnist durch das „aufrührerische“ Ausschreiben der alten Namen für Schaumkuss und Paprikaschnitzel so in sprachschützerische Ekstase gebracht hat, dass er eine „Sprachpolizei“ herbeifantasierte und offenkundig nicht mal mehr bei Wikipedia nachlesen konnte, was das Gewürzpulver, das wir„Curry“ nennen, mit Kolonialismus zu tun hat. Geschweige denn, dass „Bubenspitzle“ oder „Nonnenfürzle“ zwar ein bissel anstößige Bezeichnungen sein mögen, aber weder Buben noch Nonnen sind nun mal eine verfolgte oder gar bedrohte Volksgruppe.

Aber was zählt all das bei der Erinnerung an Zeiten, in denen „der Deutsche noch voller Genuss in seinen M-Kopf biss“ oder sich „Z-Soße über sein Schnitzel“ kippte, wie der Journalist schreibt - mit Bedauern. Nur zur Vorbeugung: Doch, ich hätte die Worte im Zitat hier schon ausschreiben dürfen. Aber mögen hab ich halt nicht gewollt. “Der Deutsche“ hat früher ja noch ganz andere Dinge gesagt und getan, mancher vielleicht sogar „mit Genuss“, wer weiß? Wie wir als Kinder die kleinen roten Kracher nannten, die wir zu Silvester zünden durften, das überlasse ich gerne dem Erinnerungsvermögen der Zuhörer:innen ausreichenden Alters. Kein Genuss.

Freude über den klaren „Standpunkt“ diese Woche dagegen beim Artikel über Friedrich Merz. Zumindest soweit die Überschrift reichte: „Der falsche Kandidat für Partei und Land“. Kann man ja so sehen. Beim Weiterlesen fällt dann aber auf, dass es da gar nicht inhaltlich um Positionen des Sauerländers geht, sondern nur darum, ob die wohl neue Wähler:innen ködern können. „Sozialkürzungen“, „Ablehnung der Klimawende“ und „harter Flüchtlingskurs“ – sind zwar richtig, kommen aber nicht so gut?

Aber lassen wir das, is ja Urlaub, Entspannung und lustiger als Merz selbst im lässig gemeinten hellen Anzug beim Sommer-Interview ist es allemal. Vor allem am Schluss der Kolumne: Da heißt es, Merz rede „abwertend selbst über verschiedene Leute“. Gefolgt von der Frage: „Mit wem will er da künftig eine Koalition schmieden?“ Weiß ich auch nicht. Mit den Verschiedenen jedenfalls, bemerkt meine Nachbarin Barscheck durchaus pietätvoll, wohl eher nicht. Weil: Die sind ja nun mal tot.


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 28.06.2024 und in "Der Morgen" am 29.06.2024 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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