Ein Dorf startet in die zweite Liga

Die SV Elversberg - der „Zweitliga-Hobbit“

Matthew Genest-Schön   29.07.2023 | 08:55 Uhr

Mit nicht einmal 13.000 Einwohnern ist die saarländische Gemeinde Spiesen-Elversberg, Heimat der Spielvereinigung Elversberg, der kleinste Zweitliga-Standort seit fast 40 Jahren. Kleiner als Sandhausen (14.000 Einwohner) und Hoffenheim (das offiziell zur 35.000-Einwohnerstadt Sinsheim gehört), nur der FSV Salmrohr aus dem Rheinland-Pfälzischen Salmtal (2.300 Einwohner), der in der Saison 1986/87 in der zweiten Liga spielte, war noch kleiner. Doch was genau steckt hinter dem neuen „Zweitliga-Hobbit“? Ein Portrait.

Wie der kleine Hobbit im gleichnamigen Fantasy-Roman von J.R.R. Tolkien aus den 1930er Jahren, macht sich auch die SV Elversberg aus dem Saarland auf den Weg in neue Welten. Statt Orks, Trollen, Elben oder Wölfen, begegnen dem kleinsten Zweitliga-Standort seit fast 40 Jahren in dieser Saison Rote Teufel, Alte Damen oder königsblaue Steiger.

Die SV 07 Elversberg trifft am ersten Zweitliga-Spieltag der Vereinsgeschichte direkt auf einen echten Traditionsverein, Hannover 96. Ein Verein mit nahezu doppelt so vielen Mitgliedern als Elversberg Einwohner hat. Die 12.800-Seelen-Gemeinde würde ziemlich genau viermal in das Stadion der 96er passen und zahlenmäßig noch nicht mal unter den Top-Ten der größten Stadtteile Hannovers auftauchen.

Video [aktueller bericht, 28.07.2023, Länge: 4:34 Min.]
Erstes Zweitliga-Spiel für die SV Elversberg in Hannover

Dorfverein gegen Großstadt-Club

Ein Duell fernab von Augenhöhe - zumindest aus nicht-sportlicher Sicht. Die niedersächsische Messestadt mit ihren 58 Eisdielen, 13 Kinos und einem der zehn größten Bahnhöfe Deutschlands trifft auf Elversberg - ein Dorf ohne Bahnanbindung, ohne Gleise, ohne Kino, aber immerhin mit zwei Eisdielen, auch wenn die ein und demselben Besitzer gehören.

Vergleiche wie diese werden sich die Fans und die Spieler der SV Elversberg in dieser Saison noch öfter gefallen lassen müssen. Mit Schalke 04, dem HSV, St. Pauli, Hansa Rostock oder Hertha BSC werden große Fußball-Hochburgen mit ihren Fans den Weg ins Saarland suchen.

Zwischen Kaiserlinde und "Künstlerstadt"

All jenen sei gesagt: Elversberg hat auch etwas zu bieten. In der Heimatstube, dem Heimatmuseum Elversbergs, trifft man jeden zweiten Samstag im Monat Frank Fuchs. Er leitet das Ortsarchiv und hat in den letzten 20 Jahren mehr als 150.000 Dateien gesammelt - alte Akten, Fotos oder Urkunden.

„Elversberg ist Heimat“, sagt Fuchs und möchte direkt mal eine Sache klarstellen: „Die berühmte Kaiserlinde ist älter, als viele denken!“ Und ja, die Rede ist von der Kaiserlinde, an der auch das Stadion der SV Elversberg steht. „Die Linde wurde um das Jahr 1871 gepflanzt - und nicht erst 1913, wie eine Urkunde beschrieben hat“, sagt Fuchs. Denn bei der Urkunde handelt es sich um einen anderen Baum - eine Linde am anderen Ende Elversbergs.

Die Kaiserlinde, neben dem Stadion der SV Elversberg, ist also deutlich älter und neben dem Galgenturm und dem Gänselieselbrunnen ein echtes Wahrzeichen der kleinen Gemeinde. Entsprechend groß war der Aufschrei, als der Baum 2015 nach schweren Unwettern entwurzelt wurde.

Die SVE - die neuen Elversberger Popstars

„Elversberg ist aber auch eine Künstlerstadt“, fällt Gemeinde-Historiker Fuchs noch ein. „Boney M. startete hier ihre Weltkarriere.“ Deren Manager Frank Farian ist in Elversberg aufgewachsen und betrieb dort mit seiner Frau neben einem Tonstudio auch einen Nachtclub - das „Rendezvous“. Dort und in anderen umliegenden saarländischen Orten begann der Ruhmesweg von Boney M.. Daddy Cool, Rasputin oder The Rivers of Babylon stammen also auch aus der Feder eines Elversbergers.

Das neue Aushängeschild ist nun aber der Fußballverein. Dessen Spieler und vor allem Trainer Horst Steffen sind die neuen Elversberger Popstars. Die SVE mischte in der Vorsaison bereits die Dritte Liga auf - und brachte mit dem überraschenden Aufstieg in die 2. Bundesliga auch einige Herausforderungen für Verein und Kommune.

Der Aufstieg - Herausforderung für Dorf und Verein

Hinter dieser rasanten Entwicklung steht das Pharmaunternehmen Ursapharm der Familie Holzer. Frank Holzer – Firmengründer und Aufsichtsratschef – war selbst Fußball-Profi beim 1. FC Saarbrücken und später dann Trainer. Er hat sich seinen Lebenstraum verwirklicht, inklusive neuem Stadion ohne öffentliche Zuschüsse.

Jetzt muss das Stadion an der Kaiserlinde zweitligatauglich aufgerüstet werden - und soll nach Ende der Baumaßnahmen 15.000 Zuschauer fassen. Knapp doppelt so viele wie bislang. Weil die Bauarbeiten aber nicht rechtzeitig fertig werden, ziehen die Elversberger für das erste Heimspiel gegen Hansa Rostock in den Saarbrücker Ludwigspark um, in dem eigentlich der 1. FC Saarbrücken zuhause ist.

Der Kommune, die ohne Bahnhof und mit gerade mal zwei Autobahnausfahrten auskommen muss, droht an jedem Heimspieltag ein absolutes Verkehrschaos. Shuttle-Busse, tausende Auswärtsfans und fehlende Parkplätze werden dafür sorgen, dass die Landstraße und damit das Nadelöhr, das sich durch das Dorf zieht, an ihre Grenzen kommt.

Die Heimspiele an der Kaiserlinde dürften also ähnlich abenteuerlich werden, wie die Zweitliga-Reise der SV Elversberg selbst.

Vergangenheit bringt Hoffnungsschimmer

Die erste Aufgabe der SV Elversberg ist aber auswärts. Im ersten Zweitliga-Spiel der Vereinsgeschichte führt der Weg zu Hannover 96. Auf dem Papier ein ungleicher, übermächtiger Gegner - das war aber auch vor 13 Jahren der Fall, im bislang einzigen Aufeinandertreffen der beiden, in der ersten Runde des DFB-Pokals der Saison 2010/11.

Der damalige saarländische Regionalligist besiegte den damaligen Bundesligisten (am Saisonende wurde Hannover 96 sogar Tabellenvierter) mit 5:4 im Elfmeterschießen. Die Niedersachsen mit Europa-Ambitionen unter Trainer Mirko Slomka enttäuschten, das kleine Elversberg feierte eine Sensation.

Jetzt, 13 Jahre später, sieht man sich wieder. Die Saarländer ziehen als „Zweitliga-Hobbit“ los in die neue, große Fußball-Welt. Das Abenteuer beginnt, Kapitel eins von mindestens 34 - das Ende? Offen.

Über dieses Thema hat auch die Region am Nachmittag auf SR 3-Saarlandwelle am 28.07.2023 berichtet.


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