"Die Wahl ist ein Test für die Demokratie"
Was bringt die Europa- und Kommunalwahl am Sonntag? Demoskopen erwarten eine Verschiebung der politischen Koordinaten nach rechts. Was könnte das für uns im Saarland bedeuten? Ein Kommentar von SR-Politikexperte Michael Thieser.
Den wichtigsten Satz in der letzten Woche hat Emanuel Macron gesagt: "Europa kann sterben", so seine Feststellung in einer Grundsatzrede vor der Sorbonne und in Dresden.
Die Europäer haben es somit selbst in der Hand. Selten war die Stimmung vor einem Wahltag so angespannt und so polarisiert. Europaweit rechnen die Demoskopen mit einer Verschiebung der politischen Koordinaten nach rechts.
Die Konsequenzen eines solchen Ergebnisses könnten erheblich sein. Bei allem Frust über den Umgang mit dem Thema Zuwanderung und angesichts des Tempos der Veränderungen in vielen Lebensbereichen: Bei der Europawahl geht es dieses Mal auch um ganz grundlegende Werte, nämlich um die Zukunft der Demokratie.
Die Enthüllungen und nachgewiesen rechtsextremistischen Umtriebe der AfD, die Wiederkehr der FPÖ in Österreich, der Aufstieg der Neo-Faschisten in Italien und die Art und Weise, wie der Ungar Viktor Orban derzeit gegen Europa und seine Institutionen mobil macht, stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten.
"Erst die Medien, dann die Justiz"
Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass der Kontinent ab dem kommenden Montag vor einer Neuausrichtung steht, die möglicherweise viele bei ihrer Stimmabgabe so nicht bedacht haben. Weniger Klimaschutz, weniger Freizügigkeit, mehr Kontrollen an den Grenzen, mehr Nationalismus, weniger Unterstützung für die Ukraine und weniger bürgerliche Freiheiten.
Erst die Medien und dann die Justiz. In den östlichen EU-Mitgliedsstaaten lassen sich die Folgen eines Demokratie-Abbaus schon jetzt besichtigen und es erstaunt, dass 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Alarmglocken nicht noch lauter schrillen.
Kommt der innenpolitische Denkzettel?
Ansonsten ist die Europawahl seit jeher immer auch ein Anlass, innenpolitisch Denkzettel zu verteilen. Die Ampel-Parteien in Berlin müssen sich auf deutliche Verluste einstellen; dies gilt insbesondere für die Grünen.
Im Saarland hingegen richtet sich der Blick vor allem auf die Kommunen. Die Sozialdemokraten haben es in den letzten Jahren geschafft, sich vom Bundestrend abzukoppeln, das Ergebnis bei der Kommunalwahl wird für die Genossen an der Saar deshalb ein wichtiger Stimmungstest, ein Zwischenzeugnis sozusagen - unmittelbar vom Wähler.
Immerhin: Das Krisenmanagement bei der jüngsten Hochwasser-Katastrophe hat alles in allem funktioniert. Und dass die Weiterentwicklung des Ford-Geländes in Saarlouis mit dem Pharma-Unternehmen Vetter drei Tage vor der Wahl bekanntgegeben wird, ist sicher kein Zufall. In jeder dritten Kommune werden die Rathauschefs neu gewählt und Saarlouis soll in sozialdemokratischer Hand bleiben.
Was passiert in Saarbrücken?
Die politischen Beobachter schauen ansonsten auf die Landeshauptstadt und den Regionalverband. Sollte es der Saarbrücker CDU mit Oberbürgermeister Uwe Conradt an der Spitze gelingen, trotz dem Desaster rund um das Ludwigsparkstadion, das Ergebnis vom letzten Mal zu halten oder sogar noch zu verbessern, könnte schon sehr bald in den Reihen der Christdemokraten eine Diskussion darüber beginnen, wer der richtige Herausforderer von Ministerpräsidentin Anke Rehlinger bei der nächsten Landtagswahl sein wird.
Die Wahlbeteiligung im Saarland lag im Jahre 2019 bei über 66 Prozent, deutlich höher als in anderen Bundesländern. Ob es dabei bleibt? Der Dialog mit dem Bürger ist auch im Saarland schwieriger geworden. Auch hier gab es Anfeindungen und verbale Übergriffe.
Das eigene Wahlrecht auszuüben, bedeutet vor diesem Hintergrund deshalb auch eine Grenzziehung, sprich ein Bekenntnis zum demokratischen Miteinander und eine Absage an Hass und Gewalt sowie die Diffamierung derjenigen, die anderer Meinung sind.
Über dieses Thema berichtet auch die Region am Mittag am 08.06.2024 auf SR 3 Saarlandwelle.
