Ehemaliger Verfassungsrichter Peter Müller fordert neues Wahlrecht
Der ehemalige saarländische Ministerpräsident und Bundesverfassungsrichter Peter Müller hat für ein neues Wahlrecht in Deutschland plädiert. Außerdem hat er sich für weitere Reformen ausgesprochen.
In einer Kolumne der "Süddeutschen Zeitung" schreibt Peter Müller, der frühere Bundesverfassungsrichter und saarländische Ministerpräsident, das deutsche Wahlrecht funktioniere in seiner jetzigen Form nicht mehr. Das habe die Bundestagswahl gezeigt. "In einer verunsicherten und fragmentierten Gesellschaft schwächt es die politische Mitte, stärkt die Ränder und führt zu demokratischer Selbstblockade."
Auch wenn CDU-Chef Friedrich Merz nach dem Sieg der Union bei der Bundestagswahl das Ziel ausgerufen hatte, noch vor Ostern eine handlungsfähige Regierung mit der von den Wählerinnen und Wählern abgestraften SPD bilden zu wollen – Müller hält dies für "illusorisch". Ihm zufolge drohten vielmehr "halb gare Kompromisse und die Fortsetzung des Gewürges, das zum Aus der Ampel führte".
Müller für Mehrheitswahlrecht
Wie könnte es künftig also besser laufen? Laut Müller mit dem Mehrheitswahlrecht. Konkret bedeutet das: Wer im Wahlkreis die meisten Stimmen erhält, zieht auch ins Parlament ein. Das hätte Müller zufolge mehrere Vorteile: Zum einen gäbe es so regelmäßig klare Mehrheiten im Parlament, das dadurch viel handlungsfähiger wäre.
Zum anderen, so Müller, könnten gesellschaftliche Mehrheiten gegen populistische Parteien "endlich wahlwirksam werden. Falls in einem Wahlkreis niemand im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreicht, könnten in einem zweiten die beiden Bestplatzierten antreten. Damit wäre es möglich, dass sich demokratische Mehrheiten jenseits radikaler Parteien durchsetzen".
Und Müller führt noch einen anderen Punkt in seiner Kolumne an. Seit der jüngsten Bundestagswahl ist aufgrund der Wahlrechtsreform nicht mehr sicher, dass derjenige ins Parlament einzieht, der über die Erststimme seinen Wahlkreis gewinnt. Direkt gewählte Abgeordnete erhalten demnach nicht mehr automatisch ein Mandat, sondern nur dann, wenn es vom Zweitstimmenanteil der jeweiligen Partei gedeckt ist.
23 Wahlkreisgewinner gehen leer aus
"Diesmal werden 23 Wahlkreisgewinner kein Mandat erhalten. Aber ihnen unterlegene Bewerber ziehen teilweise in den Bundestag ein; weil sie sich vordere Plätze auf den Landeslisten ihrer Parteien gesichert hatten", moniert der frühere CDU-Politiker Müller. ""The loser takes it all" – das grenzt an Wählertäuschung und darf so nicht bleiben."
Konkret bezieht sich Müller auf Fälle wie den des CSU-Politikers Volker Ullrich, der seinen Wahlkreis Augsburg-Stadt mit 31,1 Prozent der Stimmen zwar deutlich gewonnen hatte, wegen der neuen Wahlrechtsreform aber doch nicht in den Bundestag einzieht. Ullrich musste gleichzeitig hinnehmen, dass die Zweitplatzierte Claudia Roth (Grüne) trotzdem ins Parlament kommt, obwohl sie weniger Erststimmen holte als er. Roth erhält ihr Mandat nämlich über die Landesliste der Grünen.
Der Fall hatte für Aufmerksamkeit gesorgt, weil Ullrich am Wahlabend Roth den Handschlag verweigert und sie beschimpft hatte. Die Szene war vor einem Reporter des Bayerischen Rundfunks aufgenommen worden. Roth hatte seinerzeit für die neue Wahlrechtsreform gestimmt.
Die meisten der betroffenen Wahlkreisgewinner, insgesamt 18, waren Unionskandidaten – auch die Union kritisierte die Wahlrechtsreform nach der Bundestagswahl deshalb scharf.
Weitere Reformen gefordert
Müller sprach sich in der Kolumne noch für weitere Reformen aus – wie die Einführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene, die Verlängerung der Wahlperiode und eine Reform des Föderalismus "anstelle des gegenwärtigen Systems organisierter Verantwortungslosigkeit". Aktuell könne niemand mehr erkennen, wo der Bund zuständig sei, wo es die Länder seien und wer gerade wen blockiere.