Wer steht hinter dem „Marsch für das Leben“?
Seit vielen Jahren demonstrieren radikale Abtreibungsgegner regelmäßig vor der Schwangeren-Betreuungsstelle Pro Familia in Saarbrücken. Sie nennen sie „Hinrichtungshaus“ oder „Tötungsklinik“. Ein Überblick über die Akteure.
Auch diesen Samstag sind sie wieder an den Saarbrücker Staden gekommen. Fast 200 Menschen nahmen teil. Sie hatten Plakate dabei, auf denen steht „Abtreibung ist gegen Gottes Gebot“ oder „Das Problem sind nicht ungewollte Kinder sondern unwillige Eltern“. Mit Mikrofon und Verstärker, um die Nachbarschaft mit lauten Gebeten und Reden zu erreichen.
Beim „Marsch für das Leben“ im vergangenen Jahr etwa hat ein Pater der Piusbruderschaft Abtreibung als „physische Gewalt der Mutter gegenüber ihrem Kind“ gegeißelt. „Ein ungeborener Mensch ist kein Angreifer, den man abwehren muss.“
Szalontai: „Ganz üble Stimmungsmache gegen uns“
Pro Familia hat jahrelang nicht auf die regelmäßigen Demonstrationen gegen ihre Einrichtung reagiert, um den Abtreibungsgegnern nicht noch mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, sagt die Leiterin der Beratungsstelle, Eva Szalontai im SR-Interview.
Seit einigen Jahren beteiligt sich Pro Familia an den Gegenprotesten. „Unser Anliegen ist, der Frauenfeindlichkeit dort entgegenzutreten. Das ist ganz üble Stimmungsmache gegen uns, und dagegen müssen wir uns verwahren.“
Das Adolf-Bender-Zentrum für Demokratie und Menschenrechte in St. Wendel beobachtet die „Märsche für das Leben“ schon lange und sieht dort „immer wieder ein problematisches Verhältnis zu rechtsextremen Inhalten“. Referent Simon Kornthal sagt: „Zum Beispiel nahmen Personen aus rechtsextremen oder verschwörungstheoretischen Kreisen an diesen Demos teil und haben auch immer wieder Reden gehalten.“
Beim „Marsch für das Leben“ 2022 etwa hat ein Redner Abtreibungen andeutungsweise mit dem Holocaust verglichen. Die Ermittlungen deshalb laufen noch, teilte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken dem SR mit. Wegen des Verdachts der Volksverhetzung.
Die Piusbruderschaft
Der Saarbrücker „Marsch für das Leben“ wird von der saarländischen Piusbruderschaft mitgestaltet, auch wenn sie die Demo nicht offiziell anmeldet. Letztes Jahr wurde etwa das Kreuzweggebet am Anfang der Veranstaltung von einem Pater der Bruderschaft gesprochen.
Die Piusbrüder sind eine Gemeinschaft katholischer Traditionalisten, die nicht zur römisch-katholischen Kirche gehört. Simon Kornthal vom Adolf-Bender-Zentrum sagt: „Inhaltlich fallen hochrangige Mitglieder immer wieder durch menschen- und demokratiefeindliche Aussagen auf.“ Auch mit antisemitischen Äußerungen haben Piusbrüder in den vergangenen Jahrzehnten Schlagzeilen gemacht, etwa Bischof Richard Williamson.
Aus dem Sitz der Piusbruderschaft für Deutschland erreicht den SR dazu folgende Stellungnahme: „Wir dulden in unseren Kreisen keinen Antisemitismus. Unsere klare Haltung bezüglich extremer Positionen können Sie sehr deutlich am Beispiel des Bischofs Williamson erkennen, den wir schon vor zwölf Jahren aus unserer Gemeinschaft ausgeschlossen haben.“
In Saarbrücken-St. Arnual betreibt die Bruderschaft das „Priorat St. Maria zu den Engeln“. Aus der Gemeinde und zwei mit dem Priorat verbundenen Saarbrücker Privatschulen kamen in der Vergangenheit Teile des Demonstrationszugs.
Der Sprecher vom Sitz der Piusbruderschaft für Deutschland schreibt: „Wenn Mitglieder der Priesterbruderschaft oder Katholiken, die bei uns die Messe besuchen, daran teilnehmen, dann deshalb, weil sie von ihrem Recht als Staatsbürger Gebrauch machen, für ihre Überzeugung einzustehen, dass menschliches Leben vom ersten Augenblick an geschützt werden muss.
Das „Aktionskomitee Christen für das Leben“
Offizieller Veranstalter der „Märsche für das Leben“ ist seit Jahren das „Aktionskomitee Christen für das Leben“. Das Komitee bezeichnet die Schwangeren-Betreuungsstelle Pro Familia zum Beispiel als „Kindervernichtungsklinik“.
Etwa auf Facebook: „Es kann keinen Frieden geben, bevor dieses satanische Gemetzel nicht ein Ende findet und Sühne für diesen Dauerkrieg gegen die Schwächsten und Unschuldigsten geleistet wird.“
In der Corona-Hochphase im Jahr 2021 wurde auf der Facebook-Seite des Aktionskomitees auch eine Verschwörungserzählung geteilt, nach der in Covid-Impfstoffen angeblich Zelllinien von per Kaiserschnitt entbundenen Babys verwendet würden. Das war eine Falschbehauptung.
Aktion Leben e.V.
Dieses Jahr ist „Aktion Leben e.V.“ Mitveranstalter des „Marschs für das Leben“ in Saarbrücken. Der Verein ist in Weinheim in Baden-Württemberg ansässig, aber im Saarland ein alter Bekannter.
Schon Ende der 1990er Jahre hat „Aktion Leben“ Eltern gegen sich aufgebracht, als Informationsmaterialien des Vereins auf saarländischen Schulhöfen verteilt wurden. Die Saarbrücker Zeitung beschrieb sie damals als „Broschüre mit grausamen Fotos von zerstückelten ungeborenen Babys“.
Die Schulelternsprecherin der Saarbrücker Marienschule beklagte damals in der SZ, dabei sei „keinerlei Rücksicht auf die seelische Verfassung gerade der jüngeren Schüler genommen“ worden.
„Aktion Leben“ und das „Aktionskomitee Christen für das Leben“ haben auf unsere Anfragen zu diesen Themen nicht reagiert.
„Tradition Familie Privateigentum“ (TFP)
Nicht nur aus Baden-Württemberg nehmen Abtreibungsgegner an der Demonstration in Saarbrücken teil. Letztes Jahr waren sogar ausländische Aktivisten dabei: Mitglieder der ultrakonservativen katholischen Organisation „Tradition Familie Privateigentum“ (TFP), erkennbar an großen knallroten Schärpen.
TFP ist bekannt dafür, von einer Anti-Abtreibungsdemonstration zur nächsten zu reisen, oft mit Plakaten, auf denen von einem „Europäischen Kreuzzug für die Familie“ die Rede ist. Aber die Organisation macht auch politische Lobbyarbeit für die Verschärfung von Abtreibungsgesetzen.
AfD
Auch für dieses Jahr hat sich wieder die kirchenpolitische Sprecherin der AfD im Bundestag angemeldet, Nicole Höchst. Vergangenes Jahr war sie mit einem weiteren AfD-Kollegen angereist. Auch ein Mitglied der saarländischen AfD-Jugendorganisation, Junge Alternative, war letztes Jahr dabei. Der Verfassungsschutz führt beide Organisationen als „rechtsextremen Verdachtsfall“.
Ein Sprecher aus dem Sitz der Piusbruderschaft in Deutschland teilt dem SR dazu mit, die Piusbruderschaft sei keine politische, sondern eine religiöse Gemeinschaft. „Die Katholische Kirche – und damit wir – hat eine ganz klar ablehnende Haltung extremistischen Ideologien gegenüber.“ In diesem Fall habe die Bruderschaft aber keinen Einfluss darauf, wer an dieser Veranstaltung teilnimmt.
Dazu sagt Simon Kornthal vom Adolf-Bender-Zentrum: „Eine Distanzierung von allen rechtsextremen, verschwörungserzählerischen oder identitären Strömungen wäre möglich, indem man zum Beispiel sagt, dass solche Inhalte bei der Demo nicht erwünscht sind. Das würde ein ganz anderes politisches Signal senden, wird aber nicht getan.“
Eine solche Distanzierung müsste von den Veranstaltern kommen, zu denen die Piusbruderschaft in der Tat nicht zählt.
Gegenveranstaltung mit Kultur
Parallel zum "Marsch für das Leben" hat am Saarbrücker Staden eine Gegenveranstaltung stattgefunden. Organisiert vom „Bündnis für reproduktive Selbstbestimmung“. Politische Gegenreden gab es weniger, dafür Musik und Kultur.
Eva Szalontai von Pro Familia sagt: „Wir wollen uns nicht verbeißen in das Dagegen. Sondern wir wollen zeigen, wofür wir stehen: Lebensbejahung. Das gehört für mich dazu, wenn ich sage, ich habe das Recht, über meinen Körper selbst zu bestimmen.“
Über dieses Thema hat auch die SR info Rundschau am 16.11.2024 berichtet.