Hilfe, wenn viele Ärzte ratlos sind: Zentrum für seltene Erkrankungen in Homburg
Menschen, die an seltenen Erkrankungen leiden, rennen im Durchschnitt fast fünf Jahre von Arzt zu Arzt, bis sie eine Diagnose erhalten. Um ihnen den langen Leidensweg zu ersparen, gibt es das Zentrum für seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum in Homburg.
Nach der Geburt ihres dritten Kindes ging es Antje Gillenberg plötzlich schlecht. "Ich hatte eine Lungenentzündung entwickelt. Die wurde dann stationär behandelt, weil man zuerst dachte, ich hätte nach dem Kaiserschnitt vielleicht eine Lungenembolie entwickelt", erzählt sie im Gespräch mit dem SR. Doch Gillenberg hatte keine Lungenembolie – sondern eine unerklärliche Lungenentzündung.
Die sei zunächst mit Antiobotika behandelt worden. Doch ihre Werte verbesserten sich nicht, im Gegenteil. Ihr Arzt war ratlos. Er konnte sich nicht erklären, warum es ihr immer schlechter ging. Deshalb wurde sie in die Uniklinik Homburg überwiesen. "Und dann ging eigentlich alles ganz schnell. Es wurden ganz viele Untersuchungen gemacht. Herz, Ultraschall, Blutentnahme, alles, das ganze Programm."
Nur war auch danach noch nicht klar, was sie hat. Also meinte die Ärztin in Homburg, "sie würde gerne morgen einen Herzkatheter machen auf der Intensivstation, denn sie denkt, es wäre dringend", erinnert sich Gillenberg. Und sie hatte recht: Bei der Untersuchung stellte sich heraus, dass der Druck in Gillenbergs Lungengefäßen viel zu hoch ist. Seither war klar: Gillenberg leidet an Lungenhochdruck.
Jährlich 4000 Patienten beim Zentrum für seltene Erkrankungen
Eine Krankheit, die genauso selten wie gefährlich ist. Unbehandelt sei sie "so gefährlich wie eine Krebserkrankung", erklärt Dr. Katarzyna Rososinska, Geschäftsführerin und Ärztliche Koordinatorin des Zentrums für seltene Erkrankungen am Klinikum in Homburg. Heilbar ist Lungenhochdruck noch nicht, nur therapierbar. Aber um die Krankheit therapieren zu können, muss man sie erstmal diagnostizieren – und das dauert in den meisten Fällen viel länger als bei Gillenberg.
Prof. Robert Bals und Dr. Katarzyna Rososinska vom Zentrum für seltene Erkrankungen sind genau auf solche Fälle spezialisiert. Denn sie sind zwar, wie es der Name schon sagt, selten. "Aber wir haben viele seltene Erkrankungen. Bis jetzt sind wohl 8000 bekannt", erklärt Rososinska. Am Zentrum für seltene Erkrankungen in Homburg werden jährlich mehr als 4000 Patientinnen und Patienten stationär behandelt, ergänzt Bals. "Und das ist ja wirklich viel."
Deutschlandweit haben etwa vier Millionen Menschen eine seltene Erkrankung. Die meisten davon machen die gleiche Erfahrung – sie sind jahrelang auf der Suche nach einer Diagnose. Das belastet sie auch psychisch. Fast fünf Jahre dauert dieser Leidensweg durchschnittlich. "Und irgendwann zweifeln die Menschen an sich", sagt Rososinska. 40 Prozent der betroffenen Patienten bekämen zudem mindestens eine Fehldiagnose.
Wenn sie dann endlich die richtige Diagnose bekämen, sei es oft eine große Erleichterung. Selbst dann, wenn sich ihre Krankheit nicht behandeln lässt.
Seltene Erkrankungen: "Man muss ein bisschen recherchieren"
In den meisten Fällen kommen erstmal nur die Akten der Patienten in Homburg an. Wenn der Verdacht einer seltenen Erkrankung vorliegt, werden die Patienten an diverse Spezialisten weitergeleitet, mit denen das Zentrum für seltene Erkrankungen zusammenarbeitet. "Oft wird die Diagnose erst durch spezielle Untersuchungen möglich, zum Beispiel genetische Untersuchungen", erklärt Rososinska.
Da der erste Verdacht aber oft nicht der richtige sei, begleitet das Zentrum für seltene Erkrankungen viele Fälle über einen langen Zeitraum. "Man muss ein bisschen recherchieren. Man muss auch die Motivation haben oder den Willen, was zu finden." Im Fall einer Patientin war das Team schon kurz vorm Aufgeben.
Dann sei ihr aber plötzlich beim Durchstöbern der Akte etwas aufgefallen. Ein Wert, der Rososinska dazu brachte, noch eine letzte Untersuchung zu veranlassen – und die war dann ein Volltreffer. "Ich habe in dem geschlossenen Zimmer getanzt vor Freude, dass das jetzt so kam."
Patienten mit seltenen Erkrankungen haben keine Lobby
Genau deswegen werden in Homburg weiter täglich Krankenakten und Befunde nach den kleinsten Abweichungen durchforstet, denn alle hier wollen den Patienten nicht nur helfen, sondern sie wollen auch eine Stimme sein für die, die keine Stimme haben. "Weil natürlich viele von diesen Patientinnen und Patienten keine Lobby haben. Weil es halt so seltene Erkrankungen sind", sagt Robert Bals.
Und auch, damit Menschen mit ähnlich seltenen Krankheiten wie Antje Gillenberg nicht mehr im Durchschnitt fünf Jahre auf eine Diagnose warten müssen.
Über dieses Thema hat auch die Sendung "Wims - Das Magazin" im SR Fernsehen am 24.10.2024 berichtet.