Missbrauchsstudie der Evangelischen Kirche

Großes Ausmaß von Missbrauch in evangelischer Kirche

  25.01.2024 | 17:11 Uhr

Missbrauch von Kindern galt lange als Problem der katholischen Kirche - bis jetzt. Erstmals beleuchtet eine Studie, dass sexualisierte Gewalt und Missbrauch auch in der evangelischen Kirche ein großes Thema sind.

In der evangelischen Kirche und Diakonie (EKD) gibt es wesentlich mehr Missbrauchsopfer als bisher angenommen. Laut einer unabhängigen Studie sind seit 1946 mindestens 2225 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden. Das sei jedoch nur die "Spitze der Spitze des Eisbergs", sagte Studienleiter Martin Wazlawik von der Hochschule Hannover am Donnerstag bei der Vorstellung der Untersuchung. "Das bitte ich bei der Einordnung der Zahlen und Befunde zu beachten."

Viele Betroffene und Beschuldigte konnten allerdings nicht mehr identifiziert werden. Einer Hochrechnung zufolge könnte es deshalb mehr als 9300 Missbrauchsopfer geben.

Studie geht von mehr Beschuldigten aus

Zudem gibt es laut der Studie 3497 Beschuldigte, davon gut ein Drittel Pfarrer oder Vikare. In ihrer offiziellen Pressemitteilung spricht die EKD indes nur von 1259 Beschuldigten und 2174 Betroffenen. Mitautor Harald Dreßing, der auch maßgeblich an der katholischen MHG-Missbrauchsstudie 2018 beteiligt war, erläuterte die Differenz: Trotz vertraglicher Verpflichtung habe von den 20 evangelischen Landeskirchen nur eine einzige neben den Disziplinarakten auch die Personalakten geliefert.

Die zusätzliche Analyse der Personalakten in der einen kleineren Landeskirche zeigte laut Dreßing, dass die Disziplinarakten etwa 60 Prozent der Beschuldigten und 70 Prozent der Betroffenen nicht erfasst hätten. Auf Basis dieser Daten und von Erfahrungswerten ähnlicher Untersuchungen komme man auf die deutlich höheren Zahlen. Auch dabei handele es sich aber nur um "die Spitze der Spitze des Eisbergs"; es sei von einem sehr großen Dunkelfeld auszugehen.

Fehrs: "Hat mich erschüttert"

Die amtierende Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Kirsten Fehrs, bat um Entschuldigung. Sie sagte, man habe sich auch als Institution an unzählig vielen Menschen schuldig gemacht. Sie habe von der Untersuchung "vieles erwartet, aber das Gesamtbild hat mich doch erschüttert". Die Kirche und ihr Wohlfahrtsverband Diakonie hätten eklatant versagt und seien Betroffenen nicht gerecht geworden.

Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, sagte: „Das Leid der Betroffenen, die Zahl der Fälle und das institutionelle Versagen, das die Studie darlegt, sind erschütternd. Hinter jedem Fall stehen erlittenes Unrecht und Leid der Betroffenen sowie Schuld und Versagen von Verantwortungsträgern unserer Kirche."

Über dieses Thema haben auch die SR-Hörfunknachrichten am 25.01.2024 berichtet.


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