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Wann nennen wir die Herkunft mutmaßlicher Täter und wann nicht?

 

Wenn wir über Straftaten berichten, taucht immer wieder die Frage auf, wann nennen wir die Herkunft oder Nationalität der Verdächtigen oder mutmaßlichen Täter und wann nicht? Die Frage ist nicht pauschal zu beantworten, aber es gibt Kriterien, die die jeweilige Entscheidung transparent und nachvollziehbar machen.

Die Entscheidung fällt Journalisten oft schwer, eine eindeutige Ja- oder Nein-Antwort gibt es meistens nicht. Wir haben für den Saarländischen Rundfunk (SR) Kriterien definiert, nach denen wir jeden einzelnen Fall individuell prüfen und dann entscheiden. Wir veröffentlichen die Prüfkriterien hier auf SR.de, damit jeder unsere Entscheidungen nachvollziehen kann.

Grundlage Pressekodex

Grundsätzlich folgen wir den Richtlinien im Pressekodex des deutschen Presserats. Mit Ziffer 12 des Pressekodex bekennen sich die deutschen Print- und Onlinemedien zum Diskriminierungsverbot.

Darin heißt es:

Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.
In der zugehörigen neuen Richtlinie 12.1 gibt der Presserat eine Empfehlung für die Umsetzung dieser Selbstverpflichtung bei der Berichterstattung über Straftaten, konkret zur Nennung von Nationalitäten in der Kriminalitätsberichterstattung:
„In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Was heißt das jetzt für Medien-Redaktionen?

  • Der Pressekodex enthält kein Verbot, die Herkunft, Nationalität oder Zugehörigkeit zu Minderheiten von mutmaßlichen Straftätern oder Verdächtigen zu nennen.
  • Die Redaktionen bzw. Medien verpflichten sich jedoch, in jedem einzelnen Fall verantwortungsbewusst abzuwägen, ob für die Nennung der Herkunft, der Nationalität oder der Zugehörigkeit zu Minderheiten „ein begründetes öffentliches Interesse“ vorliegt.
  • Liegt dieses „begründete öffentliche Interesse“ nicht vor, dann darf die Nennung der Herkunft, der Nationalität oder der Zugehörigkeit zu Minderheiten nicht bloß dazu dienen, diskriminierende Vorurteile zu schüren.

Welche Kriterien legen wir also an bei der Abwägung?

Wir beschäftigen uns journalistisch und presseethisch intensiv mit diesem Thema. Wir prüfen sorgfältig, ob und wann wir die Herkunft eines mutmaßlichen Täters nennen und wann nicht. Das gilt auch für die Opfer. Dabei stellen wir uns bei jedem Bericht folgende Fragen: Wann ist die Herkunft relevant? Wann muss sie genannt werden und wann spielt sie keine Rolle? Ergibt es Sinn, sie nicht zu nennen, wenn alle anderen Medien es tun? Und auch: Würden wir uns diese Fragen stellen, wenn der Täter oder die Täterin eine andere Herkunft hätte? Wie wägen wir die Gefahr einer Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen gegen das Informationsinteresse ab? Die Herkunft mutmaßlicher Täter oder Verdächtigen ist in der Regel nicht alleiniger Grund für eine Berichterstattung. Sobald wir aber berichten, nennen wir Herkunft, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer Minderheit, dann, wenn es ein begründetes öffentliches Interesse gibt.

Hier einige Beispiele des Presserats, wann ein solches begründetes öffentliches Interesse bestehen kann:

  • Es liegt eine besonders schwere oder in ihrer Art oder Dimension außergewöhnliche Straftat vor.

Beispiele: Terrorismus, Organisierte Kriminalität, Mord, Folter, Sprengstoffanschlag (z.B. auf den BVB-Mannschaftsbus 2017).

  • Eine Straftat wird aus einer größeren Gruppe heraus begangen, von der ein nicht unbeachtlicher Anteil durch gemeinsame Merkmale wie ethnische, religiöse, soziale oder nationale Herkunft verbunden ist.

Beispiel: Die Ereignisse der Kölner Silvesternacht 2015/16.

  • Die Biografie eines Täters oder Verdächtigen ist für die Berichterstattung über die Straftat von Bedeutung

Beispiel: Täter ist Flüchtling und hat auf seiner Migration bereits vergleichbare Straftaten begangen.

  • Der Zusammenhang zwischen Form oder Häufigkeit einer Straftat und der Gruppenzugehörigkeit von Tätern oder Verdächtigen selbst ist Gegenstand der Berichterstattung.

Beispiel: Die Redaktion thematisiert den Handel mit bestimmten Drogen an bestimmten Plätzen durch Täter einer bestimmten Gruppe.

  • Ein Straftäter oder Tatverdächtiger hat die eigenständige Struktur seiner Herkunftsgruppe für die Tatausführung benutzt.

Beispiele: Der Täter nutzt ausländische Absatzwege für Diebesgut. Besondere Clan-Strukturen ermöglichen erst die Begehung von Straftaten (Ehrenkodex, Schweigeverpflichtungen, Solidaritätszwang usw.).

  • Ein Verdächtiger flüchtet unter Ausnutzung von Strukturen in sein oder aus seinem Herkunftsland.
  • Die Gruppenzugehörigkeit eines Tatverdächtigen hat eine besondere Behandlung im Ermittlungsverfahren zur Folge.

Beispiel: Ein Ermittlungsrichter erlässt Haftbefehl wegen Fluchtgefahr, da die ausländische Staatsangehörigkeit des Verdächtigen ein Absetzen ins Ausland erleichtern würde. Bei einem Verdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit wäre im vergleichbaren Fall kein Haftbefehl erlassen worden.

  • Während eines Strafverfahrens wird die Gruppenzugehörigkeit eines Verdächtigen durch Verfahrensbeteiligte in besonderem Maße thematisiert.

Beispiel: In einem Strafprozess wegen schwerer Körperverletzung bleibt es nicht bei der bloßen Nennung der Staatsangehörigkeit des Angeklagten bei der Feststellung der Personalien. Zudem plädiert die Verteidigung für ein mildes Strafmaß, weil sich der Angeklagte bei der Tatbegehung an den Traditionen der Konfliktregulierung seiner Gruppe orientiert habe.

Was gilt es noch abzuwägen?

  • Es besteht immer das Risiko, durch die Nennung der Herkunft/Zugehörigkeit im Einzelfall diskriminierende Stereotype zu verstärken. Kriterien für die Abwägung können folgende sein:
  • Wird die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Herkunft, insbesondere in Verbindung mit abwertenden Begriffen, dazu genutzt, Stereotype zu bedienen oder Gruppen zu diffamieren?
  • Wird die Gruppenzugehörigkeit in unangemessener Weise hervorgehoben, etwa durch eine Erwähnung in der Überschrift oder durch wiederholte Nennung?
  • Wird die Zugehörigkeit als bloßes stilistisches Mittel verwendet?
  • Wenn nur wenig über die Hintergründe der Tat bekannt ist, sollte die Nationalität nur zurückhaltend genannt werden, auch wenn andere Medien dies anders handhaben.
  • Falls die Nationalität durch Social Media oder offizielle Stellen wie Polizei oder Behörden bereits öffentlich gemacht wurde, erfolgt eine unabhängige Abwägung, ob auch wir die Nationalität nennen sollten.
  • Neugier ist kein akzeptabler Maßstab für eine verantwortliche, presseethische Entscheidung.
  • Auch wenn eine Gruppenzugehörigkeit von Quellen wie Behörden genannt wird, bleibt die Redaktion weiterhin für ihre eigene, presseethische Verantwortung zuständig.
  • Sollten neue Erkenntnisse oder Recherchen eine Nennung der Herkunft rechtfertigen, wird die Entscheidung gegebenenfalls angepasst.
  • Vermutungen über mögliche Zusammenhänge zwischen Gruppenzugehörigkeit und Taten müssen auf Fakten beruhen.
  • Spekulationen und unbestätigte Gerüchte sind keine Grundlage für verantwortungsvolle Berichterstattung.


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