Mängel bei der Unterbringung schuldunfähiger Straftäter mit Suchtproblemen

Mängel bei der Unterbringung schuldunfähiger Straftäter mit Suchtproblemen

Caroline Uhl / Katja Hackmann   11.04.2025 | 07:16 Uhr

Seit 2021 gibt es eine provisorische Außenstelle der Merziger Forensik auf dem Gelände der JVA Saarbrücken. Dort werden schuldunfähige und vermindert schuldfähige Straftäter mit Suchtproblemen zunächst monatelang untergebracht. In einem Brief haben sich betroffene Patienten zuletzt darüber beschwert. Denn eigentlich gehören sie dort gar nicht hin.

Das Saarland hat offenbar seit Jahren Probleme, schuldunfähige und vermindert schuldfähige Straftäter mit Suchtproblemen ordnungsgemäß unterzubringen. Wie das Justizministerium dem SR bestätigte, verbringen Verurteilte zunächst mehrere Monate in einer provisorischen Abteilung auf dem Gelände der JVA Lerchesflur. Dabei sind sie laut Gesetz gar keine Häftlinge.

Die Debatte dreht sich um verurteilte Straftäter nach dem Paragrafen 64 im Strafgesetzbuch. Dabei handelt es sich um Suchtkranke, bei denen ein Gericht unter anderem festgestellt hat, dass ihre Tat überwiegend auf ihre Abhängigkeit zurückgeht.

Mängel bei der Unterbringung schuldunfähiger Straftäter mit Suchtproblemen
Audio [SR 3, Studiogespräch:Kerstin Gallmeyer / Caroline Uhl, 10.04.2025, Länge: 03:08 Min.]
Mängel bei der Unterbringung schuldunfähiger Straftäter mit Suchtproblemen

Ziel im Maßregelvollzug: die Heilung

Sie werden zum Maßregelvollzug in einer Entziehungsanstalt verurteilt. Im Saarland ist das die saarländische Klinik für forensische Psychiatrie (SKFP) in Merzig. Diese Verurteilten gelten vor dem Gesetz nicht als Häftlinge, sondern Patienten. Und während es im Gefängnis um Resozialisierung geht, ist das Ziel im Maßregelvollzug die Heilung.

Maßregelvollzug und Gefängnis sind normalerweise streng getrennt, auch räumlich. Im Saarland ist das aber bereits seit vier Jahren anders. Wegen Kapazitätsproblemen in Merzig richtete das Land im Jahr 2021 eine provisorische Außenstelle der SKFP auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt (JVA) Lerchesflur in Saarbrücken ein, die sogenannte "J1"

Situation auf der Außenstelle sei "untragbar"

Über die Zustände dort gibt es Kritik von Betroffenen und Strafverteidigern. Der Saarbrücker Strafrechtsanwalt Michael Rehberger bezeichnet die aktuelle Lage als "untragbar". "Man hat es am Anfang akzeptiert, weil es keine Alternative gab", erinnert sich Rehberger. Doch das sei eben mittlerweile vier Jahre her.

Besonders kritisch sieht Rehberger die Zusammensetzung der Patienten auf "J1", zuletzt waren es noch sieben Männer. Drei davon stehen am Anfang ihrer Therapie; sie sind in der sogenannten "Motivationsphase", die sie erfolgreich durchlaufen müssen, bevor sie nach Merzig dürfen. Die vier übrigen auf "J1" waren zuletzt Therapie-Abbrecher – das heißt: aus der SKFP in Merzig erfolglos zurückgekehrt nach Saarbrücken.

"Da sehe ich das Hauptproblem", sagt Anwalt Rehberger. "Das wird für einen, der motiviert ist, sehr schwierig, weil er den ganzen Tag mit Leuten zusammen sitzt, die sagen: 'Das ist nicht so toll, lass es, das bringt nichts.'"

Der saarländische Justizstaatssekretär Jens Diener (SPD) betont hingegen, hinter der Mischung stecke ein Konzept. Es sei von Ärzten und Therapeuten entwickelt worden und funktioniere "gut". Strafverteidiger Rehberger bezweifelt das.

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Audio [SR 3, Vollker Roth, 11.04.2025, Länge: 02:22 Min.]
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Patienten beklagen sich in einem Brief über die Zustände

Auf "J1" untergebrachte Männer haben ihren Unmut über ihre Situation zuletzt in einem Brief öffentlich gemacht. "In einigen Sachen sind wir hier sehr eingeschränkt und auch benachteiligt", schreiben sie.

Ein Kritikpunkt: die Einschlusszeiten. Patienten in Merzig können sich normalerweise in einem bestimmten Rahmen frei bewegen. Wer in der Außenstelle der SKFP auf dem JVA-Gelände untergebracht ist, hat Einschluss wie Häftlinge. Konkret heißt das etwa am Wochenende: Die Zellen sind ab 16.00 Uhr zu.

Besuch nur mit Trennscheibe möglich

Besonders betroffen zeigen sich die Unterzeichner von den Besuchsregeln. In Saarbrücken wie in Merzig können Patienten in der ersten Phase des Maßregelvollzugs Besuch nur durch eine Trennscheibe empfangen. Nur: Auf "J1" bleibt die Trennscheibe auch über die ersten Wochen hinweg.

"Dadurch erschwert sich die Motivation für eine erfolgreiche Therapie, weil man auf Dauer Angst haben muss, seine Familie wie auch Freunde und seine Beziehung zu verlieren, weil null Nähe vorhanden ist", schreiben die Patienten.

Trennscheibe soll "Drogenschmuggel" eindämmen

Das Justizministerium begründet sowohl Einschluss als auch Trennscheibe mit den Gegebenheiten in der JVA. "Die organisatorischen Vorkehrungen in einer Einrichtung müssen eben auch Sicherheitsgründen entsprechen", sagt Staatssekretär Diener. Die Trennscheibe etwa solle auch dazu dienen, den Drogenschmuggel in die Anstalt einzudämmen.

Den Schmuggel zu unterbinden, funktioniert offenbar nur leidlich. "Der Zugang zu Drogen ist uns hier problemlos möglich", schreiben die Männer. Staatssekretär Diener verweist darauf, dass keine Anstalt imstande sei, Drogen komplett rauszuhalten.

Ende von "J1" in Sicht

"Es geht zu Lasten derjenigen, die eigentlich von einem Richter, von einem Gutachter oder einer Gutachterin gesagt bekommen: 'Bei dir ist es wichtig, dass eine Therapie stattfindet'", fasst Strafverteidiger Rehberger die Gesamtsituation zusammen. Ausgerechnet diesen Leuten werde die Therapie erschwert.

Immerhin: Demnächst könnte Schluss sein mit "J1". Wegen einer Gesetzesänderung ist die Zahl der nach Paragraf 64 Verurteilten rückläufig. Wenn das so bleibt, "dann rechne ich damit, dass man in den nächsten Monaten die Station nicht mehr benötigt" sagt Diener. Wann genau das der Fall sein wird, ist aktuell allerdings noch offen.

Über dieses Thema haben auch die SR info-Nachrichten im Radio am 11.04.2025 berichtet.


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