Kein Mutterschutz für Frauen, die ihr Kind früh verlieren?
Fehlgeburten scheinen in unserer Gesellschaft kaum vorzukommen. De facto passieren sie aber ständig. Dass über das Thema derart geschwiegen wird, macht es für Frauen noch schwerer, die Situation auszuhalten und das Erlebte zu verarbeiten. Dazu trägt bei, dass sie nach einer Fehlgeburt keinen Anspruch auf Mutterschutz haben – sie müssen unter Umständen also am Folgetag wieder zur Arbeit gehen.
Nach Schätzungen von Gynäkologen erleidet jede dritte Frau eine Fehlgeburt. Und doch wird in unserer modernen Gesellschaft, die Tod und Trauer so zuverlässig aus der Öffentlichkeit verbannt, kaum je darüber gesprochen. Für betroffene Frauen sei das, zusätzlich zu ihrem Verlust, eine besonders schmerzhafte Erfahrung, sagt Sandra Kern, Gründerin des Vereins "SternenEltern Saarland".
Davon weiß auch Andrea Heisler, die die Selbsthilfegruppe "Sternenkinder Homburg" leitet, zu berichten. Sie blickt auf zwei Fehlgeburten zurück, eine in der 19., die andere in der 21. Schwangerschaftswoche. Oftmals habe sie das Gefühl gehabt, dass ihr weder die Zeit noch der Raum für ein angemessenes Trauern gebilligt wurde. Auch an Empathie habe es zuweilen gemangelt. "Kommentare wie ,Ist es jetzt nicht langsam mal gut mit dem Trauern?' oder ,Du bist doch noch so jung, Du kannst noch viele Kinder haben!' waren keine Seltenheit."
Mutterschutz endet mit der Fehlgeburt
Blickt man auf das Mutterschutzgesetz, so drängt sich der Eindruck auf, der Gesetzgeber erkennt die Trauer von Frauen, die ihr Kind in einem frühen Stadium verloren haben, ebensowenig an. Denn aktuell steht Frauen nach Fehlgeburten vor der 24. Schwangerschaftswoche kein Mutterschutz zu.
Heißt konkret: Verlieren sie ihr Kind vor dem sechsten Schwangerschaftsmonat, wird ihnen nicht automatisch eine berufliche Auszeit gewährt. Erst ab der 24. Schwangerschaftswoche oder wenn das tot geborene Kind mehr als 500 Gramm wiegt, hätten sie einen Anspruch auf 18 Wochen Mutterschutz, denn dann gilt die Fehlgeburt als Totgeburt.
Was vermittelt das Betroffenen – abhaken, funktionieren, als sei Nichts gewesen, es muss schon irgendwie gehen? "Ab der zwölften Schwangerschaftswoche müssen Mütter das Kind auf natürlichem Wege gebären. Sie durchleben dieselben körperlichen und psychischen Belastungen einer Geburt, mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie am Ende eben kein gesundes Baby in den Händen halten", erklärt Kern.
Von ihnen zu verlangen, sich am Folgetag der Fehlgeburt selbst um eine Krankschreibung zu kümmern, sei eigentlich kaum zu fassen – ist aber die Realität in Deutschland. Ob die Frau schließlich krankgeschrieben wird, obliegt dann allein der Entscheidung des Hausarztes oder der Gynäkologin.
"Schon der Gang dorthin ist meist extrem herausfordernd. Die Situation, im Wartezimmer der Frauenärztin dann auch noch neben Schwangeren zu sitzen, ist aber kaum mehr auszuhalten." Und schließlich sei der Krankenschein nicht immer garantiert; Kern kenne Fälle, in denen Betroffene schon am nächsten Tag ihrer Beschäftigung hätten nachgehen müssen, als habe es sich bloß um einen Routineeingriff gehandelt.
Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht
Auch Natascha Sagorski aus München bekam kurz nach der Ausschabung von ihrer Ärztin im Krankenhaus zu hören, dass sie keine Krankschreibung benötige, dass sie "morgen ruhig wieder ins Büro gehen kann". Dieser Satz habe einiges in ihr ausgelöst. "Ich habe mich daraufhin viel mit anderen Frauen ausgetauscht, weil ich erst dachte, dass ich einfach Pech mit meiner Ärztin hatte. Dabei habe ich festgestellt, dass es bei Weitem nicht nur mir so erging, dass das wirklich ein strukturelles Problem ist."
Daraus resultiert ist eine Petition mit der Forderung nach einem gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten, 75.000 Menschen haben letztlich unterschrieben. Im November vergangenen Jahres hat Sagorski dann gemeinsam mit vier betroffenen Frauen Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt, vertreten werden sie vom Rechtsanwalt Remo Klinger, der auch eine der Klimaklagen geführt und gewonnen hat. Noch hat das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde nicht zugelassen.
Gestaffelter Mutterschutz die Lösung?
Die vier Frauen halten vor allem die "harte Grenze", die zwischen vormals Schwangeren, die Mutterschutz erhalten und denjenigen, die ihn nicht zugesprochen bekommen, für problematisch. Demnach müssten auch Frauen mit Fehlgeburten vor der 24. Schwangerschaftswoche unter Schutz gestellt werden – je nach Dauer der Schwangerschaft soll der Mutterschutz dabei gestaffelt sein. Wie viele Wochen einer Betroffenen bei ihrer Fehlgeburt im jeweiligen Monat zustehen, soll von einer Expertenkommission aus Hebammen, Gynäkologinnen, Arbeitsrechtlern und Trauerbegleiterinnen erarbeitet werden.
"Wir denken, dass ein Angebot des gestaffelten Mutterschutzes für Frauen nach Fehlgeburten ein großer Fortschritt wäre, der Betroffenen Zeit gibt, das Erlebte zu verarbeiten und ihnen einen Schutz bietet, der ihnen zusteht", so Sagorski. Dennoch sollte es sich um ein optionales Angebot handeln, denn jeder Mensch bewältige Trauer anders; wem die Arbeit Ablenkung verspreche, der sollte dieser selbstverständlich nachgehen können, wenn er das wolle. "Wir wollen niemanden bevormunden."
Ende April wird es Sagorski zufolge zu diesem Thema ein gemeinsames Fachgespräch im Familienausschuss in Berlin geben, zu dem auch der Gesundheitsausschuss eingeladen sei – sie hofft auf ein Umdenken in der Politik. "Vielleicht tut sich dann doch bald endlich etwas."
Mehr Aufklärung und Sichtbarkeit
Darüber hinaus würde sich Heisler von der Selbsthilfegruppe "Sternenkinder Homburg" mehr Aufklärung auch beim medizinischen Personal wünschen – sie müssten Frauen und ihre Partner nach Fehlgeburten besser an die Hand nehmen, sie über ihre Rechte, über Bestattungsmöglichkeiten und Hilfsangebote zur Trauerbewältigung im Saarland informieren. Dafür brauche es entsprechende Schulungen in den Krankenhäusern sowie den Hebammen- und gynäkologischen Praxen.
"Schließlich braucht es auch eine Enttabuisierung in der Gesellschaft. Fehl- und Totgeburten müssen sichtbarer gemacht werden, immerhin erlebt sie jede dritte Frau. Und trotzdem fragen sich so viele immer noch: Lag es an mir, habe ich etwas falsch gemacht in der Schwangerschaft? Das darf nicht sein."
Hilfe für Sterneneltern
Der Verein "SternenelternSaarland" bietet Unterstützung in Notsituationen, Beratung sowie Gesprächskreise, informiert über Sammelbestattungen für Sternenkinder und steht auch sonst bei allen Fragen rund um das Thema zur Verfügung. Betroffene Frauen und ihre Partner, die sich nach einer Fehl- oder Totgeburt austauschen wollen, können sich außerdem an die Selbsthilfegruppe "Sternenkinder Homburg" wenden.