Eine Frau sitzt mit Kleinkind und Fieberthermometer auf einer Couch (Foto: IMAGO / Westend61)

Saar-Kinderarzt zu Todesfall in Berlin: "Viele kennen Diphtherie nicht mehr"

Sandra Schick   29.01.2025 | 16:48 Uhr

In Berlin ist ein ungeimpftes Kind an Diphtherie erkrankt und gestorben. Die Krankheit ist inzwischen dank Impfungen äußerst selten geworden in Deutschland. Doch gerade darin liege auch eine Tücke, sagt der Sprecher der Kinderärzte im Saarland: Weil manche Krankheiten nicht mehr bekannt seien, hätten Impfskeptiker es leichter.

"Würgeengel der Kinder" – unter dieser Bezeichnung kannte man Anfang des 20. Jahrhunderts noch die Krankheit Diphtherie in Deutschland. Denn: Eine gefürchtete Komplikation der Krankheit ist die Verengung der Atemwege bis zum Ersticken.

1892 starben laut RKI an dieser Infektion in Deutschland noch mehr als 50.000 meist junge Menschen. 1913 wurde die Impfung eingeführt, die Zahl der Infektionen sank deutlich. Durch die breite Einführung der Kinderimpfung ab 1960 ist die Krankheit immer weiter zurückgegangen.

Diphtherie-Todesfall in Berlin

Todesfälle durch diese Erkrankung sind in Deutschland sehr selten geworden. Jetzt starb in Berlin ein zehnjähriges Kind an Diphtherie, es war zuvor lange Zeit im Krankenhaus intensivmedizinisch behandelt worden. Nach früheren Angaben des Brandenburger Gesundheitsministeriums war das Kind nicht geimpft. Dabei gehört die Sechsfach-Impfung gegen Diphtherie, Tetanus, Polio, Pertussis und andere Krankheiten zu den Standardimpfungen für Babys in Deutschland.

Benedikt Brixius, Sprecher der Kinder- und Jugendärzte im Saarland, sagt im Gespräch mit dem SR: "Normalerweise erhalten Säuglinge zur Grundimmunisierung drei Dosen im Alter von zwei, vier und elf Monaten."

Eine erste Auffrischungsimpfung empfehle die Stiko bei fünf- bis sechsjährigen Kindern, eine zweite im Alter von 9 bis 17 Jahren. Auch Erwachsene sollten den Impfschutz alle zehn Jahre auffrischen lassen.

Alte Krankheiten verlieren oft ihren Schrecken

Trotz aller Bemühungen gebe es aber immer wieder Menschen, die ihre Kinder nicht impfen lassen wollten. "Viele kennen diese Krankheit ja gar nicht mehr, weil das so gut wie nicht mehr in Deutschland vorkommt. Ich selbst habe in meiner ganzen Laufbahn zum Glück noch nie einen Fall von Diphtherie gesehen", berichtet der Kinderarzt.

Gleichzeitig sei das aber auch die Gefahr:

Die Leute unterschätzen die Krankheit, weil sie nie ihren Schrecken miterlebt haben."
(Kinderarzt Benedikt Brixius)

Zudem würden viele Menschen denken, man könne mit der heutigen modernen Medizin auch schwere Krankheiten gut behandeln. "Doch gerade dieser Fall aus Berlin zeigt, dass trotz maximaler Versorgung Ärzte bei bestimmten schweren Erkrankungen häufig nicht oder nur eingeschränkt helfen können."

"Neben Diphtherie trifft dies auch auf viele weitere Erkrankungen zu wie etwa Tetanus, Polio, Meningokokken oder Pneumokokken, um nur ein paar Beispiele zu nennen", so Brixius. Bei all diesen Krankheiten gebe es häufig schwere Komplikationen – gleichzeitig könne man sein Kind aber mit Impfungen davor schützen.

"Vielleicht ist dieser Fall jetzt nochmal eine Warnung an alle, die das bisher nicht so ernst genommen haben", hofft Brixius. Es müsse leider erst immer etwas Schlimmes passieren, damit ein Umdenken stattfinde.

Gute Durchimpfungsrate

Nach Angaben des RKI sind heute mindestens 92 Prozent der Kinder zum Zeitpunkt der Schuleingangsuntersuchung gegen Diphtherie geimpft. Dadurch bestehe ein sehr guter Herdenschutz.

Allerdings gab es in den vergangenen zehn Jahren eine Zunahme der Krankheitsfälle. Zuletzt wurde laut RKI im Jahr 2022 ein neuer Höchststand verzeichnet mit 177 Erkrankungen. 2024 gab es 51 bestätigte Erkrankungen.

2022 war Deutschland laut RKI von einem internationalen Ausbruch importierter Diphtherie unter Geflüchteten betroffen. Erkrankungen wurden deutschlandweit aus 13 Bundesländern gemeldet, das Saarland war damals laut RKI nicht betroffen. Viele der erkrankten Personen hatten sich laut RKI vermutlich auf der Flucht entlang der Balkanroute infiziert.

Geflüchtete Menschen, die in Deutschland ankämen und einen unklaren Impfstatus hätten, würden bei der Ankunft hier umgehend grundimmunisiert, berichtet Brixius, der selbst schon in der Flüchtlingshilfe Impfungen verabreicht hat. "Bei Migranten ist die Impfbereitschaft meist sehr gut. Viele sind äußerst dankbar für die Impfmöglichkeiten."

Vermutlich auch deswegen, weil sie den Schrecken mancher Krankheiten noch selbst erlebt hätten.

Über dieses Thema haben auch die SR info-Nachrichten im Radio am 29.01.2025 berichtet.


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