Nicht wenige SR-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engagieren sich in ihrer Freizeit mit gemeinnütziger Arbeit. Manche davon tun das auf demselben Gebiet, auf dem sie auch beim SR tätig sind oder waren. Und dem hier wie da ihre ganze Leidenschaft gehört. Der Volksmusik-Redakteur Leo Clambour (14. 8. 1917 – 1. 2. 1985) war so ein SR-Kollege. Dreißig Jahre lang setzte er sich beruflich und privat vor allem für die saarländische Zupfmusikszene ein. Bis heute dankt man es ihm.
Von Edwin Mertes*, Mitarbeit Axel Buchholz
Es ist zwar simpel formuliert, aber zutreffend: Er war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit seinen Talenten, Idealen, Visionen, beruflichen Verbindungen und medialen Möglichkeiten. Der Name Leo Clambour ist gleichbedeutend mit einer Epoche der deutschen Zupfmusik, die vom Saarland aus geschrieben wurde.
Clambours Aktivitäten waren vielfältig: Präsident des Bundes für Zupf- und Volksmusik Saar e. V. (BZVS), Lehrgangspädagoge, Orchestermanager und Organisator zahlreicher öffentlicher Volksmusik-Events.
Die Begeisterung und die Begabung für die Volksmusik wurden dem Sohn einer katholischen Lehrerfamilie in Saarbrücken offenbar in die Wiege gelegt – noch im deutschen Kaiserreich vor Ende des Ersten Weltkriegs.
Vom Vater ist bekannt, dass er sich lange Zeit als Sänger und Vorstand im heimatlichen Männergesangverein Waldrach bei Trier engagiert hatte. Clambours schulische Stationen lassen allerdings vermuten, dass die Eltern für die beiden Söhne eine theologische Laufbahn angedacht hatten. Sie förderten aber auch von früh auf seine musikalischen Interessen. Und die bestimmten dann auch seinen Berufsweg: 1938 begann er ein Musikstudium am Bornschein Konservatorium in Saarbrücken. Doch schon im Herbst 1939 wurde er – wie fast alle Männer seiner Generation – Soldat.
Den gesamten Zweiten Weltkrieg verbrachte er an der Front. Bereits im ersten Kriegsjahr fiel sein Bruder.
Nach dem Krieg führte Clambour sein Musikstudium am Konservatorium Saarbrücken (bei Prof. Fritz Griem, Klavier) und an der Städtischen Musikschule, Trossingen (Fachschule für Volksmusikinstrumente) mit dem Akkordeon zu Ende. Trotzdem wurde er kein leidenschaftlicher Musiker. Stattdessen wurde die Tastatur seiner Schreibmaschine sein Lieblingsinstrument. Ich gehörte gut zwei Jahrzehnte zu seinen vertrauten „Mitarbeitern“ im Verband, im Saarländischen Zupforchester und in den Lehrgängen und sah ihn nie ein Instrument spielen.
1953 kam Leo Clambour zu Radio Saarbrücken, aus dem 1957 der Saarländische Rundfunk wurde. Als Redakteur und Programmgestalter arbeitete er dann in der Abteilung Kirchen- und Heimatfunk/Chor- und Volksmusik, die von Josef Reichert (28. 1. 1901 – 9. 12. 1973) bis zu dessen Pensionierung 1966 geleitet wurde. Reichert war der Volks- und Chormusik innigst verbunden. Er besaß vielfältige Sachkompetenz, und die Förderung echter Volksmusik und Brauchtumspflege war ihm ein Herzensanliegen.
Das galt auch für seinen Nachfolger als Leiter des „Heimat- und Kirchenfunks“. Es war sein Sohn Dr. Franz Josef Reichert (21. 5. 1934 –15. 4. 2012), der bis zum Programmdirektor Hörfunk aufstieg. Gemeinsam mit dem Gitarristen Siegfried Behrend (19. 11. 1933 – 20. 9. 1990) verfasste Reichert jun. einige (historisierende) Sendereihen über die Gitarre und die Zupforchester. Er schrieb Essays über den Themenbereich „Rundfunkanspruch und Laienmusizieren“.
In seiner beruflichen Funktion kam Clambour mit allen nur denkbaren musizierenden Vereinen, Orchestern, Chören und Spielgruppen in Kontakt. Es war noch die Zeit, als der Rundfunk mit dem Ü(bertragungswagen)-Wagen in die Ortschaften fuhr und in Sälen, Kirchen, Zelten oder auch einfach nur „unter der Dorflinde“ Aufnahmen machte. In der Regel moderierte Abteilungsleiter Josef Reichert in seinem unverkennbaren, volkstümlichen Plauderton die Bandaufnahmen vor Ort. Clambour organisierte Termine, die Programmauswahl, die Gesprächspartner und das SR-Aufnahmeteam.
Seit seiner Ausbildung zum Privatmusikerzieher war Clambour dem Akkordeon besonders verbunden. Ab der Gründung des Saarländischen Harmonikaverbandes (SHV) 1951 gehörte er einige Jahre zum Vorstand und Musikausschuss des Verbandes. Ab 1957 organisierte er regelmäßig Akkordeon- und Mundharmonika-Lehrgänge im Staatlichen Lehrgangsheim Rehlingen. Besonders zu erwähnen ist ein Seminar dort Anfang Oktober 1957, das Clambour im Auftrag des SHV vorbereitete: „Internationale Jugendmusikwoche für Volksmusikinstrumente mit Lied, Spiel und Tanz“.
Die Akkordeon-Weltfestspiele (im Auftrag der CIA = Conféderation Internationale des Accordéonistes) vom 24. bis 26. 8. 1957 in Saarbrücken wurden gemeinsam von Josef Lochems, dem damaligen Präsidenten des SHV und Leo Clambour, dem Vizepräsidenten, organisiert und exzellent in Szene gesetzt. Unter anderem gab es mehrere Uraufführungen von Heinrich Konietzny.
Auch der Saarländische Rundfunk hatte bei der Ausrichtung in der „Wartburg“, dem damaligen Sitz des Senders, eine entscheidende Rolle. Josef Reichert gab seinem Mitarbeiter Clambour genügend Freiräume für die Organisation und Ablaufgestaltung mit zahlreichen Bandaufnahmen oder Live-Sendungen im Funk.
Tochter Inge besuchte Vater Leo öfter mal in der “Wartburg”. Das blieb nicht ohne Folgen: „Damals entstand mein Wunsch, einmal als Tontechnikerin zu arbeiten.“ Und auf einen ihrer Funkhaus-Besuche geht auch zurück, dass sie den alten Schlager „Pack die Badehose ein“ noch bis heute mit einem schönen Erlebnis verbindet: Als kleines Mädchen wurde sie von der damals auch unter Kindern und Jugendlichen sehr populären Schlagersängerin und spätere Schauspielerin Cornelia Froboess (* 28. 10. 1943) einmal auf den Schoß genommen. Sehr zu Inges Freude und seither einer bleibende Erinnerung.
Als wäre Clambours Arbeit als Rundfunkredakteur und sein ehrenamtliches Engagement für die Akkordeon-Szene noch nicht ausreichend gewesen, engagierte er sich bald auch für die Zupfmusik. Seine erste Begegnung mit dieser Sparte der Volksmusik fand im August 1954 beim Abschlusskonzert des ersten saarländischen Dirigentenkurses des ein Jahr zuvor gegründeten Zupf- und Volksmusikverbandes (BZVS) statt. Es wurde von „Radio Saarbrücken“ per Ü-Wagen in Tholey mitgeschnitten. Clambour begleitete das Aufnahmeteam und assistierte Josef Reichert.
Bereits zwei Jahre später wirkte er an der Planung und Realisierung des Zupfmusik-Dirigentenlehrgangs 1956 mit. Und noch im selben Jahr wurde Clambour als Beisitzer in den Vorstand des BZVS gewählt. Er brachte gründliche Erfahrungen aus der Vorstandsarbeit im Saarländischen Harmonikaverband mit. Er erwies sich schnell auch für die Zupfmusiker als ein Organisationstalent und kannte sich – lange Zeit als einziger im Verband – im Zuschusswesen bestens aus. Die Staatszuschüsse korrekt anzufordern und abzurechnen, war für die Verbands- und Vereinsarbeit existentiell wichtig. 13 Jahre lang wirkte er im Amt des Beisitzers bzw. des Rundfunk- und Pressewarts, faktisch aber in der Rolle eines „Generalsekretärs“. Seine Erfahrung und sein Rat wurden gebraucht und geschätzt. Bereits ehe er Präsident wurde, war er jahrelang der leitende Geist (Spiritus rector) der Bewegung.
Als seine Frau Ingeborg ab Januar 1957 als Teilzeitsekretärin das Büro der Bundesgeschäftsstelle des BZVS führte, liefen alle Fäden bei ihm zusammen. Immer wieder war er zur Übernahme des Spitzenamtes gedrängt worden. Erst am 20.4.1969 kandidierte er und wurde von der Bundesgeneralversammlung mit überwältigender Mehrheit zum Bundesvorsitzenden gewählt.
Während seiner Präsidentschaft (wie das Amt nach einer Satzungsänderung hieß) besuchte Clambour im Laufe der Zeit alle dem Bund angeschlossenen Vereine und Orchester. Er schrieb zahlreiche Grußworte in Festschriften und wurde zu Festansprachen an Jubiläumsveranstaltungen eingeladen Er versäumte kein Kreiskonzert und ließ sich die Landeskonzerte der Jugend-musiziert-Preisträger nie entgehen. Sein Tenor hieß: „Die Anhebung des musikalischen Niveaus und die allgemeine Anerkennung ist nur zu erreichen, wenn es gelingt, Spieltechnik, Orchesterkultur und Literatur zu verbessern und zu pflegen.“
Konzertantes Musizieren und gehobene Konzertliteratur (der Laienorchester) entsprachen seinem Wesen und Streben mehr als die volkstümliche Brauchtumspflege. Es gab Vereine, die sich seinem Höherstreben und seinen Repertoireempfehlungen verweigerten. Etliche verstanden seine Appelle als Programmzensur und als Einmischung in die Hoheit der Dorfkultur. Seine Weitsicht, Beharrlichkeit und Aktivitäten (in seiner „Doppelrolle“ als BZVS-Präsident und Rundfunkredakteur) bewirkten eine Entwicklung der Zupfmusik, der nicht alle folgen konnten oder wollten.
Immer wieder gab es aber auch Worte und Gesten des Lobes und der Anerkennung. So bot ihm z. B. 1970 das Zupforchester Nassweiler die Ehrenmitgliedschaft an.
Trotz so mancher Kontroverse kämpfte und lebte Clambour für seine Philosophie und versuchte seinen Vorstand und die Vereine von der Richtigkeit zu überzeugen. Um dieses hohe Ziel zu erreichen, machte er sich stark für das Saarländische Zupforchester (SZO) als „Speerspitze“. Mit diesem Verbandsorchester ließ sich ein hohes Niveau dokumentieren und ausstrahlen und damit auch die Aufmerksamkeit der Fachwelt erreichen. Als zweite Säule – von gleicher Wichtigkeit – betrieb er kontinuierlich die fundierte Breitenarbeit mit Spieler-, Dirigenten- und Vereinsleiterlehrgängen sowie der Nachwuchsförderung.
Dazu gehörten auch die regelmäßigen „Rehlinger Lehrgänge“, bei denen er als Organisator/Gesamtlehrgangsleiter und auch als Ko-Dozent für theoretische Fächer mitwirkte. Als künstlerischen Lehrgangsleiter verpflichtete er den Berliner Komponisten und Musikpädagogen Konrad Wölki (27. 12. 1904 – 5. 7. 1983) und dessen Dozententeam. Gemeinsam mit Wölki und dem Saarbrücker Musiker, Komponisten und Hochschullehrer Heinrich Konietzny (7. 5. 1910 – 23. 4. 1983) erstellte er eine Prüfungsordnung für Dirigenten. Konietzny war von 1936 bis 1939 Solofagottist im Orchester des Reichsenders Saarbrücken gewesen und wurde nach dem Krieg 1946 Erster Fagottist im Sinfonieorchester zunächst von Radio Saarbrücken und dann bis 1964 des SR. Als „Haus-Komponist“ des SR schuf Konietzny u. a. rund vierhundert Hörspielmusiken. Neben seiner Rundfunkarbeit leitete er am „Staatlichen Konservatorium Saarbrücken“ (aus dem schließlich die Hochschule für Musik hervorging) die „Meisterklasse für Komposition und Kammermusik“.
Lange Zeit ließ sich Clambour bei den „Rehlinger Lehrgängen“ von seiner Frau als Organisationsleiterin unterstützen. Zusammen mit Frau Ingeborg und Tochter Inge verbrachte er dann quasi seinen Sommerurlaub im Lehrgangsheim. Aber statt eines üblichen Erholungsurlaubs absolvierte er rund um die Uhr vielerlei Pflichten. An sein diskretes, aber ständiges Ordnen, Schreiben und Planen können sich wahrscheinlich Hunderte vormaliger Lehrgangsteilnehmer schmunzelnd erinnern. Clambours Tochter Inge jedenfalls hat ihre Rehlinger Sommerferien noch gut im Gedächtnis. Kein Wunder, andere hatte sie während ihrer Kinderjahre auch nie.
Vater Leo nahm sich zwar selten mal Zeit für sie, gelangweilt hat sie sich trotzdem nicht. „Ingelein“ wurde damals von den „Großen“ sehr verwöhnt und war auch in den Anfängerkursen ein willkommener Gast. Dass sie sich trotzdem für die Volksmusik nicht besonders interessierte, tut ihr heute leid: „Ich hätte noch viel mehr lernen können.“ Immerhin versteht sie aber ihre eigenen Kinder und Enkelkinder gut, die sich ebenfalls nicht für die Volksmusik begeistern können.
Leo Clambour besaß Charme und Esprit. Oftmals ließ er seinen Humor aufblitzen. Im Rehlinger Lehrplan war die frühe Mittagszeit die Phase der Entspannung und Bewegung. Immer wenn es seine Zeit zuließ, entledigte er sich seiner Jacke, krempelte (manchmal sogar) die Ärmel hoch und spielte mit den Kindern und Jugendlichen auf der Wiese Fußball. Er beteiligte sich gerne an harmlosen Streichen. Als er wahrnahm, wie Jugendliche einem Gast aus dem BZVS-Bundesvorstand eine Blechbüchse ans Auto banden, wandte er sich schmunzelnd ab. Zugleich war er aber peinlichst bedacht, dass ihm nichts derartiges widerfahren konnte. Einmal gelang es jugendlichen Teilnehmern dennoch, vier seiner geliebten Pfeifen zu verstecken. Beim gemeinsamen Abendessen sagte er so nebenbei: „Sollten meine Pfeifen irgend jemandem von euch begegnen, so sagt ihnen, ich wohne in Zimmer neun.“
Clambours Rehlinger Lehrgangsmodell setzte Maßstäbe, so dass er auch mit seinem gesamten Dozententeam in andere Bundesländer eingeladen wurde und diese Aufgabe einige Jahre noch zusätzlich leistete.
Zu Clambours Aufnahmeteam bei Musikproduktionen gehörten die beiden SR-Tonmeister Günter Braun (27. 1. 1928 – 13. 11. 2005) und Helmut Fackler (*1940). Sie schufen in dieser Zeit je drei Dutzend Kompositionen für Zupfinstrumente. Zu den Fachleuten, die Clambour zur Förderung des Instrumentalspiels an die Saar holte, zählten international bekannte und anerkannte Künstler: Aus Esch-sur-Alzette/Luxemburg der Dirigent und Komponist Marcel Wengler (*20. 4. 1946), aus Prag der Gitarrist, Hochschullehrer und Komponist Jiří Jirmal (24. 4. 1925 – 11. 12. 2019) und aus Tokio der Mandolinenvirtuose, Komponist und Musikpädagoge Takashi Ochi (30. 10. 1934 – 4. 11. 2010). Der japanische Mandolinist wohnte – gerade in Deutschland angekommen – drei Monate bei Clambours in der ohnehin nicht großen Wohnung. Nicht gerade zur Freude von Tochter Inge, die zeitweise ihr Kinderzimmer an ihn abtreten musste. Was sie allerdings nicht davon abhielt, sich für ihn als „Deutschlehrerin“ zu erproben. Von ihm lernte sie dafür etwas Japanisch. Was Danke heißt, weiß sie bis heute: Domo Arigato.
Für das Saarländische Zupforchester erwies sich vor allem aber ein anderer Gastdozent als besonders hilfreich: der Berliner Gitarrist, Komponist und Dirigent Siegfried Behrend. Leo Clambour lernte ihn im Oktober 1959 auf dem Bundesmusikfest des damaligen Deutschen Mandolinisten- und Gitarristen Bundes (DMGB) in Bad Kreuznach kennen, wo Behrend als Solist brillierte. Sie pflegten auf Anhieb einen regen Gedankenaustausch. Anfangs ging es in erster Linie um Rundfunkaufnahmen, die Behrend mit der Gitarre in Saarbrücken einspielen wollte. Clambour übernahm die Rolle des Türöffners und Wegweisers zum SR. Ein Großteil der von Behrend angebotenen Aufnahmen musste mit dem Symphonieorchester und dessen Chefdirigenten Dr. Rudolf Michl (25. 7. 1906 – 22. 3. 1990) oder mit dem Dirigenten des Kammerorchesters Karl Ristenpart (26. 1. 1900 – 24. 12. 1967) vereinbart werden und fielen auch nicht in die Zuständigkeit der Chor- und Volksmusik. Dennoch konnte der SR bereits am 27.1.1960 eine Sendung mit dem Titel: „Siegfried Behrend spielt eigene Kompositionen“ ins Programm bringen.
Auf die schriftliche Anfrage Clambours, ob Behrend „Spaß“ daran habe, einige Tage in Rehlingen ein Gitarrenseminar durchzuführen, nahm dieser die Einladung an, äußerte aber Ängste, dass die Zeit dazu nicht reiche. Clambour antwortete ihm zuversichtlich: „Man kann in 10 Tagen die Welt umbiegen!“ Behrend kam vom 22. bis 31. 8. 1960. Als Fachdozent unterrichtete er vormittags die Kurs-Gitarristen, nachmittags dirigierte er das Lehrgangsorchester. Diese erste Arbeitsphase gipfelte in Rundfunkaufnahmen, führte zur Namensgebung „SZO“ (Saarländisches Zupforchester) und einer raschen aufsehenerregenden Leistungssteigerung und Erfolgsstory dieses Klangkörpers.
Zwischenmenschlich führte die Zusammenarbeit zu einer langen, erst fruchtbaren, dann tragischen Männerfreundschaft. Die beiden Männer waren von unterschiedlichem Naturell. Aber sie fanden nach dem ersten erfolgreichen Kurs spontan zu dem gemeinsamen Ziel zusammen, dieses Ensemble zu einem Spitzenorchester weiterzuentwickeln. Unter der weiteren ständigen Leitung Behrends erfuhr das SZO eine ganz neue Spielqualität und Dimension des Musizierens. Mit den spektakulären Erfolgen wurde Rehlingen Anfang der 60er-Jahre zum Mekka der Zupfmusik. Komponisten, Verleger, Instrumentenbauer, Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wirtschaft gaben sich die Klinke in die Hand. Circa 150 Uraufführungen, meist dem SZO bzw. Behrend oder Ochi gewidmet, wurden beim SR eingespielt, darüber hinaus eine große Zahl alter und neuer Zupfmusikwerke. Namhafte Solisten konnten verpflichtet werden.
Den intensivsten Briefwechsel in seiner umfangreichen Korrespondenz führte Clambour ab 1959 lange Zeit mit Siegfried Behrend. Die Briefe atmen einen vertrauensvollen und freundschaftlichen Geist. Beide Männer schwärmen von ihrem „gemeinsamen Kind“, dem Saarländischen Zupforchester. Anfang Oktober 1960 schreibt Clambour: „Lieber Herr Behrend, … das Saarländische Zupforchester lebt und gedeiht.“
Behrends Briefe beginnen i. d. R. mit: „Lieber Meister Clambour“. Zur Realisierung eines Festkonzertes am 3. Oktober 1965 im Rahmen der Berliner Festwochen, galt es, trotz der sehr rigiden Visa-Politik der damaligen kommunistischen Tschechoslowakei, Jiří Jirmal, dem stimmführenden Gitarristen des SZO, für die Mitwirkung eine Ausreisegenehmigung zu erwirken. Dazu schrieb Behrend einen Antrag an die Pragoconcert. In seiner Begründung hieß es u. a.: „Das Konzert des Saarländischen Zupforchesters während der Berliner Festwochen bildet einen Höhepunkt – nicht nur für das Orchester selbst – sondern einen Höhepunkt für die liebhabermusizierende Arbeiterklasse in Deutschland.“
Jirmal bekam sein Visum. Über diesen Antrag und das sozialistische Vokabular wurde im SZO lange noch geschmunzelt.
Im gleichen Jahr schrieb Behrend an Clambour: „Trotzdem habe ich noch Zeit gefunden und ein kurzes modernes Stück für das Orchester [SZO] geschrieben und nach alter Tradition meinem lieben LEO CLAMBOUR gewidmet.“ Dieses Werk hieß „Figuration“. 1967 folgte eine weitere Komposition mit Dedikation, die „Serenade“. Auch der Luxemburger Komponist Marcel Wengler ehrte Clambour mit einer Komposition, die sogar dessen Namen trägt: „Clambouriana“.
Die enorme Leistungssteigerung und die sensationellen Erfolge hätten beide Männer glücklich machen müssen. Aber ab 1969 (latent schon viel früher) schwelten zunehmend Interessenkonflikte, die zum offenen Disput und zur Trennung führten. Die Gründe sind sehr komplex und vielfältig. Eine wichtige Rolle hat gespielt, dass Behrends kompositorische Entwicklung zunehmend in eine Richtung ging, die mit den Zielen eines Volksmusikbundes nicht mehr übereinstimmte. Mit der veränderten Organisations- und Finanzierungsform beim SR änderten sich zudem die Koordinaten und Zuständigkeiten beim Funk, sodass Clambour ein gutes Stück seiner bisherigen Autonomie in der Planung und Programmentscheidung genommen wurde.
In einer Orchestersitzung 1973 wurde Behrend schließlich von den Mitgliedern des SZO das Vertrauen entzogen; das bedeutete das Ende einer jahrelangen fruchtbaren Zusammenarbeit. Für die nächste Dekade übernahm Marcel Wengler die Orchesterleitung.
Die verdienstvolle Bedeutung des Saarländischen Rundfunks für die Förderung und Verbreitung der Zupfmusik kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, und der BZVS bewertet diese Leistungen des saarländischen Landessenders heute immer noch mit großer Dankbarkeit. Als 1966 die Fördermittel der Regierung drastisch zurückgingen, übernahm der SR das Mäzenat für das SZO und finanzierte jahrelang die mit den Produktionen anfallenden Kosten für Dirigent, Solisten, Noten u. a. m. Ferner erteilte der SR etliche honorierte Kompositionsaufträge für Zupfinstrumente. Der Funk unterstützte das jährlich zunehmende Produktionsvolumen, räumte der Zupfmusik beste Sendeplätze ein und sicherte somit die Existenz des Saarländischen Zupforchesters.
Ab Anfang der 60er Jahre hatte der SR – unter der Federführung von Leo Clambour – folgende Sendereihen für die Instrumente der Zupfmusik entwickelt:
„Das Saarländische Zupforchester spielt“
„Zu Gast bei …“ (dem Mandolinenverein XY oder der Musikschule YZ)
„Die Geschichte des Zupforchesters“
„Musik aus alter Zeit“
„Die Gitarre im Wandel der Zeit“
„Saarländische Zupforchester musizieren“
„Mandolinenmusik des 18. Jahrhunderts“
„Für die Freunde der Zupfmusik“
„Für die Freunde der Gitarren- und Lautenmusik“
„Meister der Mandoline“
„Musik unserer Zeit“ und andere mehr.
Alle Sendungen führten zur europaweiten Ausstrahlung der zahllosen Rundfunkaufnahmen des SZO, aber auch weiterer Ensembles und Interpreten mit extrem unterschiedlichen Stilrichtungen von volkstümlicher über klassische Musik aller Epochen bis zur experimentellen Avantgarde. Der Bänderaustausch, den Clambour eifrigst mit allen deutschen Sendeanstalten pflegte, sorgte zu einer weiteren Verbreitung.
In der Wechselwirkung von Rundfunk und Zupfmusik liegt aber auch ein volkspädagogischer Aspekt: Gar manches (Laien-)Orchester erreichte durch die Chance einer Rundfunkaufnahme mit dem SR, nach harten Anstrengungen, ein neues ungeahntes Leistungsniveau.
Die Möglichkeiten der Institution Rundfunk und die wertschätzende Haltung und Einstellung seiner wichtigsten Repräsentanten waren ein Glücksfall für die Volks- und Zupfmusik. Das Entgegenkommen und die Unterstützungsbereitschaft ging quer durch die Hierarchien bis zur Sendeleitung und Intendanz.
Beispielsweise erhielten Leo Clambour und der „Hauskomponist“ Heinrich Konietzny von Rundfunkintendant Dr. Franz Mai (31. 12. 1911 – 26. 10. 1999; SR-Intendant 1958 – 77) persönlich vier Tage Sonderurlaub, um an einer zupfmusikalischen Fachtagung im Oktober 1965 in Leipzig (DDR) teilzunehmen.
Bis zum heutigen Tage ist die Zupfmusik im Reigen anderer Volksmusiksparten und Chöre z. B. in der bekannten Sendung „Singendes, klingendes Dreiländereck“ sehr angemessen und positiv repräsentiert.
Ein herausragendes Ereignis für das SZO waren 1966 Fernsehaufzeichnungen, die im ZDF gesendet wurden. Die dreißigminütige Sendung von Truck Branss inszeniert, im November 66 ausgestrahlt, fand allerorten große Begeisterung.
Aus Clambours freundschaftlichen Verbindungen mit dem Hamburger Komponisten und Dirigenten Reinhold Stapelberg ergab sich langfristig eine fruchtbare Zusammenarbeit bei der Gründung, Weiterentwicklung und Zusammenarbeit der „Arbeitsgemeinschaft der Volksmusikverbände“, der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen, sowie der Bundesvereinigung deutscher Laienmusikverbände.
Darüber hinaus pflegte Clambour schon früh Verbindungen zu den europäischen Nachbarn, besonders zu Luxemburg. So war er Mitbegründer der „Interregionalen Musikunion“ (Union musical interrégionale [UMI]), die ihren Sitz in Luxemburg hat.
Leo Clambour hatte maßgeblichen Anteil an der Etablierung einer staatlichen Privatmusiklehrer-Ausbildung für Gitarre und Mandoline (1966) an der Musikhochschule Saarbrücken, an der landesweiten Installation saarländischer Musikschulen und an der Zulassung der Zupfinstrumente zum Wettbewerb „Jugend musiziert“.
1980 ging Leo Clambour als Volksmusikredakteur in Rente. Nach seinem Ausscheiden als Präsident des BZVS 1983 blieb er weiterhin ein geschätzter und sachkundiger Gesprächspartner bei Verhandlungen in nationalen und internationalen Zirkeln.
Unerwartete riss ihn der Tod 1985 aus all diesen Aktivitäten heraus, die ein wesentlicher Teil seines Lebens gewesen waren.
Besondere Ehrungen legen Zeugnis ab von den außerordentlichen Wertschätzungen, die ihm zuteil wurden: Leo Clambour wurde 1973 das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Das Großherzogtum Luxemburg ernannte ihn zum Ritter im Orden der Eichenlaubkrone, der luxemburgische Unterrichtsminister verlieh ihm 1974 das Ritterkreuz des Ordre de mérite du Grand-Duché de Luxembourg.
Ehrenpräsident des saarländischen Zupf- und Volksmusikverbandes wurde er 1983. Zu seinem Andenken schuf der BZVS am 8. 4. 1989 die Leo-Clambour-Medaille als besondere Auszeichnung für herausragende Leistungen im Bereich der Volks- und Zupfmusik. Zu seinem 100. Geburtstag gedachten 2017 die saarländischen Zupfmusiker und der Saarländische Rundfunk seiner mit einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung. Und im Archiv des Saarländischen Rundfunks zeugt auch fürderhin eine lange Liste von Musikaufnahmen mit seinem Namen von Leo Clambours Aktivitäten für die Volksmusik.
Tochter Inge war – wie sie sich das schon als Kind gewünscht hatte – ihrem Vater 1969 als Tontechnikerin zum Saarländischen Rundfunk gefolgt. Bereut hat sie das nie. Schon oft aber, dass sie seinen Bemühungen, sie an ein Instrument heranzuführen, nur so zögerlich gefolgt ist.
Zum Autor Edwin Mertes (geb. 1939, wohnt in Saarbrücken): Die Musik wurde zwar nicht zu seinem Beruf, aber zu seiner Passion und weit mehr als einem Hobby. Erste frühkindliche Erfahrungen sammelte er auf der Mandoline. Später ließ sich Edwin Mertes auf einer Vielzahl weiterer Zupf-, Streich-, Blas-, und Tasteninstrumente ausbilden. Er musizierte in der Spannweite von Kammermusik bis Jazz. Über drei Dekaden arbeitete er nebenberuflich als Kirchenmusiker, Organist und Chorleiter.
Die Zupfmusik war Mertes‘ wichtigstes musikalisches Wirkungsfeld als Musiker, Dirigent, Lehrgangsdozent, Komponist und Arrangeur. Mehr als zweihundert seiner Kompositionen und Bearbeitungen sowie zahlreiche von ihm verfasste biographische und historische Artikel über Persönlichkeiten aus dem Umfeld der Zupfmusik wurden veröffentlicht.
Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz; Eva Röder (Gestaltung/Layout); Burkhard Döring/Magdalena Hell (Illustrationen und Recherche); Sven Müller (Fernseh-Archiv SR: Videos/Standbilder)