Seit der Römerzeit ist der Saarbrücker Halberg – der heutige Sitz des Saarländischen Rundfunks – eng verbunden mit der Geschichte der Region an der Saar. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte der französische Militärgouverneur und spätere Botschafter Gilbert Grandval den Halberg zum Ort saarländischer Zeitgeschichte. Er ließ sich Schloss Halberg zu seiner Residenz umbauen. Die Saarbrücker Kunsthistorikerin Dr. Eva Mendgen* forscht zurzeit über diesen Abschnitt der Halberg-Geschichte. Axel Buchholz hat sie dazu befragt.
Frau Mendgen, in welchem aktuellen Zusammenhang haben Sie sich mit der Baugeschichte von Schloss Halberg jetzt so intensiv befasst?
Von „intensiv“ kann man leider noch gar nicht sprechen. Unser Gespräch ist ja nur ein Nebenergebnis, das ich gern ausarbeiten würde. Aber dafür fehlen die Mittel.
Ich arbeite seit einiger Zeit an zwei Forschungsprojekten. Das eine betrifft die ehemalige französische Botschaft in Saarbrücken, das andere die Entwicklung eines zeitgemäßen wissenschaftlichen Ansatzes, der es uns heute ermöglicht, die kulturellen Potenziale einer Grenzregion herauszuarbeiten. Beide Projekte sind in Nancy auf Interesse gestoßen. Die Université de Lorraine und die École Nationale Supérieure de l’Architecture haben sich dafür begeistern lassen.
Das Schloss Halberg – so wie es heute aussieht – welcher Baustil ist denn das? Oder ist es nur „versachlichte“ ehemalige Neogotik?
Auf den ersten Blick hat man den Eindruck, dass es sich um ein umgebautes Schloss der Gründerzeit handelt.
Auf den zweiten Blick stellt man fest, dass Älteres und Neueres hier eine interessante Symbiose eingehen, dass etwas Eigenes entsteht. Vielleicht wäre also „Eklektizismus“ ein passender Begriff – eine „Mischung“ vorhandener Stilelemente mit und zu Neuem.
Leider ist die Parkanlage von Heinrich Siesmeyer aus Frankfurt, die ursprünglich dazu gehört hat, verschwunden. Statt Kutschen fahren nun Autos vor.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war das Schloss ja ein vorwiegend neogotischer Bau im Stil des Historismus. Was ist denn davon heute außen noch übrig geblieben?
Um diese Frage wirklich zufriedenstellend beantworten zu können, müsste man auf die Bauakten und auf eine lückenlose Dokumentation der Nutzung und der damit verbundenen Umbauten bis heute zurückgreifen können.
Auf jeden Fall ist die Gesamtform erhalten, die kubischen Umrisse. Aber es gibt auch Details, wie das neogotische Kreuzgratgewölbe am Haupteingang.
Und innen?
Ist sehr viel umgebaut worden. Auch hier brauchte man die Bauakten, um Genaueres sagen zu können.
Die jetzige Damen-Toilette, im Erdgeschoss ganz links zur Hofseite hin, soll ja ursprünglich, also zu Zeiten des Bauherrn und Hütten-Herren Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg, eine Kutscherstube gewesen sein. Auch da ist ja wohl die ursprüngliche Gewölbe-Decke mit Zierelementen erhalten geblieben?
Das wäre natürlich ein schönes Beispiel für einen Paradigmenwechsel, die Ironie des Schicksals.
Den Umbau veranlasste der damalige französische Militärgouverneur Gilbert Grandval. Er hatte sich den Halberg als Residenz auserkoren. Wissen Sie warum?
Grandval kam im September 1945 nach Saarbrücken. Seine „Angestellten“ suchten in seinem Auftrag einen seiner „Stellung gebührenden Wohnsitz“. Schloss Halberg wurde zum einen wegen seiner Geschichte ausgewählt, zum anderen weil die Besitzverhältnisse geklärt waren.
Der Baustil des Schlosses mit viel Zierrat, zahlreichen Türmen, Türmchen und Erkern gefiel offenbar allerdings weder ihm noch seiner Frau, einer Architektin. Roland Schmitt schreibt dazu in der großen Chronologie der SR-Geschichte (Geschichte und Geschichten des Senders an der Saar, Herder 2007): „Er und seine Frau mögen den ,teutonischen‘ Stil der Neogotik nicht – folglich wird das Schloss ,zurechtgestutzt‘ …“ Was haben Sie dazu herausgefunden?
Diese Geschichten haben dafür gesorgt, dass man sich heute überhaupt noch mit dem Schloss beschäftigt.
Aber was ist das „Teutonische“ an diesem Bau? Der Erbauer des Schlosses, Edwin Oppler, war ein Verehrer von Eugène Viollet-le-Duc, „Vater“ der französischen Denkmalpflege. Offensichtlich hat Oppler ein paar Jahre in dessen Pariser Büro gearbeitet.
Natürlich hat der Auftraggeber, Gilbert Grandval, seine Wünsche bezüglich der Nutzung an seinen Architekten weitergegeben. Es wäre schön, man könnte hier auf Quellen zurückgreifen. Ähnliches gilt für die Vermutung, Grandvals Frau habe in Gestaltungsfragen eine größere Rolle gespielt.
Es ist mir nicht bekannt, dass Frau Grandval irgendwann einmal Gegenstand einer seriösen Betrachtung geworden wäre. Das ist schade. Denn Frauen spielen in der saarländischen Geschichte im Allgemeinen eine mehr als untergeordnete Rolle.
Mit den Umbauarbeiten wurde der Saarbrücker Architekt Baur beauftragt. Warum gerade er?
Hans Bert Baur scheint der Architekt des Vertrauens von Grandval 1945 – 1955 gewesen zu sein.
Er war ein Vertreter des sogenannten Neuen Bauens, politisch unbelastet und einer der ersten Bewerber um eine Mitgliedschaft der schon 1947 gegründeten Architektenkammer des Saarlandes (gegenüber der Bundesarchitektenkammer: 1949).
Er war später einer der drei Architekten, die für den Bau der französischen Botschaft als „Arbeitsgemeinschaft Pingusson-Baur-Schultheis“ zeichneten. Heute ist er leider vergessen.
Das Schloss hatte den Krieg ja nicht unbeschadet überstanden. Wie umfangreich waren die Zerstörungen außen und innen?
Auch hier fehlen leider die Bau- und die Umbauakten, um diese Frage verlässlich beantworten zu können.
Wann wurde mit den Reparatur- und Umbauarbeiten begonnen?
Die Arbeiten sollten noch 1945 beginnen. Die beauftragten ortsansässigen Firmen scheinen jedoch ihre Preise gegenüber dem Kostenvoranschlag/der Ausschreibung mehr als verdoppelt zu haben. Den genauen Umbaubeginn kann ich nicht nachweisen.
Es gibt da nur diesen Brief von Grandval als „Abschrift einer Abschrift“, wo er sich beschwert, dass sich nichts tut, weil sich die Preise gegenüber dem Angebot vervielfacht haben.
Zeitzeuge Alwin Brück berichtet, dass er im September/Oktober 1945 als Bürogehilfe im Büro des Bauunternehmens auf den Halberg kam und da der Umbau bereits im Gang gewesen sei.
Welche Vorgaben bekam Architekt Baur von Grandval für den Umbau?
Baur sollte verschiedene Möbel anfertigen lassen, um Beschlagnahmungen von Einrichtungsgegenständen zur Ausstattung der Residenz des Militärgouverneurs zu vermeiden. Ansonsten sind mir keine Vorgaben bekannt.
Auch der bekannte französische Architekt der französischen Botschaft an der Saar, Georges-Henri Pingusson, war am Schlossumbau beteiligt. Inwiefern?
Er erhielt den Auftrag, ein Arbeitszimmer für Grandval zu entwerfen.
Wissen Sie, wo das lag im Schloss?
Das auf Fotos übrigens sehr bescheiden wirkende Arbeitszimmer lag vermutlich im repräsentativen Erdgeschoß zum Haupteingang hin. Aber vielleicht gab es ja später Veränderungen.
Fotografien jener Zeit zeigen die großen Empfänge, die im Garten und dem vermutlich von Baur den modernen ästhetischen und repräsentativen Bedürfnissen angepassten „Gartensaal“ gegeben wurden.
Beim Innenausbau wurde ja eine kleine Kapelle eingebaut. Wo lag denn die?
Die „Kapelle“ gehört zur perfiden Rhetorik der Zeit nach 1949, die die Presse der jungen BRD anwendete, um Grandval zu demontieren. Man vertrat ja eigene Interessen „an der Saar“. Manches erinnert an das Jahr 1935 …
Leider stehen diese demagogischen Artikel heute unkommentiert im Internet und erscheinen, wenn man das Stichwort „Grandval“ aufruft.
Mir ist keine wissenschaftlich-objektive Arbeit über Grandvals Wirken im Saarland bekannt. Wenn die Bedeutung der unter „den Franzosen“ gegründeten, einst bilingualen Faculté des Lettres, der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes weiter beschnitten wird, ist wohl auch in Zukunft nicht mit der Aufarbeitung dieses Teils der Vergangenheit zu rechnen.
Es gab also gar keine Kapelle für Grandval?
Soweit mir bekannt: nein.
Sind die Grandval-Anweisungen für den Schloss-Umbau bereits im Zusammenhang mit der späteren französischen „Architekturpolitik“ an der Saar zu sehen – oder war es dazu zu früh?
Wenn überhaupt, dann wohl höchstens am Rande.
Generell ging es an der Saar zuerst einmal um die „Reconstruction“, den Wiederaufbau und die Modernisierung nach den vom Pariser Ministerium für Wiederaufbau skizzierten Planvorgaben. Diese wurden wiederum an die regionalen Gegebenheiten angepasst.
Es entstanden natürlich auch einzelne Bauwerke, wie das Lycée Maréchal Ney (Bau ab 1949 nach den Plänen des Architekten Pierre Lefèvre, der in Paris viele Jahre lang Büroleiter von Pingusson gewesen ist) das heutige Deutsch-Französische Gymnasium in Saarbrücken. Viele Umbauten folgten zum Beispiel der Landtag, Umnutzungen und schließlich das „Monument Commémoratif de la Nouvelle Brême“ des Chefarchitekten André Sive von 1946/1947.
Aber es ging zuerst einmal um den Gesamtplan und seinen ideellen Überbau, den man allerdings erst versteht, wenn man ihn unter verschiedenen Perspektiven betrachtet (z. B. der nationalen, regionalen, politischen, kunsthistorischen…).
Gibt es dafür Pläne und Dokumente? Oder ist das nur aus dem Ergebnis zu schließen?
Vermutlich sind jede Menge Pläne und Dokumente „im Hochwasser“ der Saar untergegangen, vieles ist jedoch auch in den zahlreichen Archiven im Saarland und in Frankreich erhalten geblieben. Vielleicht ist es auch so, dass man manchmal „vor lauter Wald“ die Bäume nicht mehr sieht… Ja, ich denke, dass es viele Dokumente gibt, aber man muss sie erst einmal finden und schließlich auch lesen können. Nicht jeder, der Französisch spricht, kann auch französische Pläne lesen, und umgekehrt.
War der Schloss-Umbau nun nur Besatzer-Architektur-Politik nach einem verlorenen Krieg? Oder ist darin auch Positives zu sehen? Etwa, dass das teil-zerstörte Bauwerk so schnell überhaupt vor weiterem Verfall gerettet wurde?
Was ist Besatzer-Politik? Ich persönlich denke, dass es an der Zeit ist, mit verschiedenen Klischees aufzuräumen, unhaltbare Deutungsmuster aufzudecken.
Von dem ursprünglichen Schloss Halberg des Hannoveraner Architekten Edwin Oppler aus den Jahren 1876 bis 1880 ist jedenfalls nur wenig geblieben. Bedauern Sie das als Kunsthistorikerin?
Im Krieg und nach dem Krieg wurde sehr viel zerstört und wieder aufgebaut. Jene Eingriffe, die vermutlich in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg vorgenommen wurden, sind aus meiner Sicht, im Gegensatz zu späteren Veränderungen, behutsam und nehmen Rücksicht auf die Architektur.
Was sehen Sie als den größten Verlust an?
Verlust? Besser wäre es vielleicht, den Gewinn herauszuarbeiten, den diese Gesamtanlage mit ihrer unglaublich interessanten Geschichte bedeutet und dahinein zu investieren.
Welchen Stellenwert als kulturelles Erbe hat für Sie das heutige Schloss Halberg?
Schloss Halberg ist ein herausragender Ort, um etwas über europäische Geschichte im Kontext der Stadt Saarbrücken und ihrer Funktion im Eurodistrict Saar-Moselle und der Großregion Saarland-Lorraine-Luxembourg-Rheinland-Pfalz-Wallonie(n) – jetzt erweitert um das Elsass und die Region Champagne-Ardenne – zu lernen. Es ist ein Ort, diese Geschichte zu erleben, sie zu diskutieren und Zusammenhänge zu erkennen. Dieser Erkenntnisprozess ist in Gang gekommen, unter anderem unterstützt von Roland Schmitt.
Europa ist hier ganz nah, mit allem was dazu gehört.
Wird dies im Saarland entsprechend herausgestrichen und gewürdigt?
Manchmal habe ich den Eindruck, mich hier in einer Art Geschichtsvakuum zu bewegen. Das eigentliche Alleinstellungsmerkmal des Saarlandes, seine europäische Geschichte zwischen Deutschland, Frankreich und Europa und seine europäische Vorreiterrolle scheint hier immer noch als Problem wahrgenommen zu werden. Dabei ist es heute wichtiger denn je, sich mit Europa und seiner Geschichte zu befassen bzw. an Beispielen wie diesem sichtbar werden zu lassen.
*Dr. Eva Mendgen ist freie Kunsthistorikerin, Publizistin und Ausstellungsmacherin mit den Arbeitsschwerpunkten Industriekultur und Kultur der Großregion. Sie ist Gründerin des Kulturnetzwerks der Großregion „Regiofactum“.
Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt: Fotos/Recherche