Peter Blattner war einer der ersten Tontechniker, die bei Radio Saarbrücken ihr Handwerk lernten. Als er am 1954 in der Wartburg, dem ehemaligen Funkhaus in der Martin-Luther-Straße, seinen Dienst antrat, war er gerade mal 14 Jahre alt.
Von Axel Buchholz
„Dienstbeginn war morgens um 7.00 Uhr“, erzählt er. Der Lehrberuf hieß damals noch Rundfunkmechaniker. „Wir lernten also nicht nur, wie die Technik im Studio funktionierte und zu bedienen war, sondern auch, wie Radios repariert wurden. „Da waren sogar noch Volksempfänger dabei.“ Drei Jahre dauerte die Lehre, einmal in der Woche war Berufsschule.
Der Werkstattmeister hieß Ludwig Reeb. Dessen Sohn Günther war der erste Lehrling. Er ging später zum ZDF. Der zweite Lehrling, Dietrich Münz, wechselte ebenfalls später zum ZDF und bekam dort eine leitende Funktion im Messdienst. Beide hatten ihre Lehrzeit bei Radio Saarbrücken als Beste im Saarland abgeschlossen. „Uns wurde auch nichts geschenkt. Wenn mal was nicht klappte, dann wurde schon mal mit einer Ohrfeige gedroht.“ Der für die Rundfunkmechaniker zuständige Meister war Norbert Dillschneider, der Abteilungsleiter Messdienst Ingenieur Herrmann Elstner. Einer der sehr erfahrenen Ingenieure hieß Karl Korn. Er war zuvor beim Reichssender Saarbrücken Chef-Ingenieur gewesen. „Diese Vergangenheit bei dem von den Nazis gegründeten Reichssender ließ man ihn manchmal spüren“, erinnert sich Peter Blattner, der das als ungerechnet empfand.
Dass Peter Blattner eine Lehre beim Radio angefangen hat, war kein Zufall. Sein Vater Hans arbeitete dort auch, wohl ab 1949 als Garagenmeister und seit 1951 in der Betriebsabteilung Technik. Und der hatte ihm geraten: „Geh Du mal da auch hin“. Ein guter Rat sei’s gewesen, meint Peter Blattner. Dafür sei er seinem Vater heute noch dankbar. Der wurde ab ca. 1960 dann mit dem Umzug auf den Halberg Personalchef. Ursprünglich war er Berufsoffizier gewesen und bis 1947 in russischer Kriegsgefangenschaft. Es habe einige ehemalige Berufssoldaten damals in der Belegschaft gegeben, hat Peter Blattner etwas zwiespältig in Erinnerung behalten. „Manchmal merkte man das durchaus am Ton“.
Auch „französischen Einfluss“ hat Blattner als junger Techniker bei Radio Saarbrücken durchaus verspürt. Den bemerkte er allerdings hauptsächlich aus Richtung der Sekretärin des Generaldirektors. Sie trug einen klassischen deutschen Namen und stammte wohl aus dem grenznahen Frankreich. „Madame M. war leidenschaftliche Mit-Chefin und gab gern auch meinen Technik-Vorgesetzten ihre Anweisungen.“ Dass „Franzosenzeit“ war, wusste man natürlich ohnehin auch in der Technik. Einmal sei eine „deutsche Hymne“ in den Sendungskasten geraten und versehentlich gesendet worden. Welche das war, weiß Peter Blattner nicht mehr – wohl aber, dass alle Angst vor Folgen gehabt hätten. Die aber blieben aus.
Aus der Garage war bekannt, dass der französische Generaldirektor Frédéric Billmann „für seine Geschäfte“ regelmäßig nach Paris fuhr. Einmal sei der bei der Rückkehr etwas ungeschickt in die Garage gefahren. Nun kannte fast jeder seinen 17er Citroen mit hinten zwei gegenüberliegenden Sitzbänken, aber „Abbes“ , das „ Original“ der Garage, erkannte ihn nicht gleich und blaffte laut: „ Mensch, Du Arschloch, kannste nich mal richtig autofahre!“ Sein oberster Chef blieb gelassen: „Ach Du bist’s, Abbes!“ Womit auch gleich etwas über das Arbeitsklima in der großen Radio-Saarbrücken-Familie gesagt ist.
Es gab im Sender einen, der bekannt war wie ein bunter Hund. Der gehörte „Abbes“, dem Original und Faktotum in der Garage. „Struppi“ war von undefinierbarer Abstammung und rundum beliebt. Besonders bei Herrchen „Abbes“. Wenn der vormittags Weck mit einem halben Ring Lyoner kaufen ging, bekam der Hund die Lyoner, hieß es. Ansonsten lebte „Struppi“ auf Senderkosten. Er war der einzige Hund mit eigener Essensmarke im Saarland – und wahrscheinlich weit darüber hinaus.
Nach seiner Lehre durfte Peter Blattner dann auch stolz den weißen Techniker-Kittel tragen, der obligatorisch war. Er arbeitete zuerst als Assistent des Tontechnikers Eduard „Eddy“ Kramer, danach assistierte er dann dem Sendetechniker Kurt Ball. Er musste Cutten (Tonbänder schneiden) und während der Produktionen und in den Live-Sendungen Bänder und Platten auflegen. Der Ton zeichnete man damals natürlich noch auf Band auf. Die Gestelle für die Bandmaschinen wurden in der Mechaniker-Werkstatt selbst gebaut, dann aufgebaut und auch selbst eingemessen. Die Bandgeschwindigkeit betrug 19, 38 oder auch noch 76 cm pro Sekunde.
In der Sendung musste man höllisch aufpassen, immer die richtige Geschwindigkeit an den Maschinen einzustellen. Und so ein aufgespultes 76er-Band war ein „Riesenkuchen“, der einem gelegentlich beim Rausnehmen aus dem Bandkarton unglücklich aus der Hand glitt. Auch Peter Blattner blieb nicht verschont davon. Das Ergebnis war ein ziemlich unentwirrbares Bandknäuel am Boden. Und eine kurzfristige Programmänderung. Der Leiter vom Dienst (LvD), zuständig für die reibungslose Programmabwicklung, musste eine Ersatzsendung einsetzen.
An eine Rüge kann sich Peter Blattner zwar nicht erinnern, wohl aber an die nachfolgende „Strafarbeit“. Er musste das Band wieder aufwickeln. Dabei halfen ihm allerdings seine Kolleginnen Rosel Becker (die Ehefrau von Ernst Becker, ebenfalls Tontechnik) und Marlis Mathis. Sie warfen als offenbar erprobte Methode den Bandsalat einfach aus dem Fenster von Studio 8 in der ersten Etage und begannen dann – weniger einfach – mit dem mühsamen Entwirren und Aufspulen. Peter Blattner ist danach kein Band mehr aus der Hand gefallen, behauptet er.
Später wurde er dann als Tontechniker eingesetzt, erst bei unterschiedlichen Produktionen vom Aktuellen und dem Sport (wo immer alles besonders schnell gehen musste) bis zum Hörspiel und im Musikstudio 1. Später dann als Sendetechniker war er einmal viel zu früh mit der Sendung fertig. Er hatte ein 38er-Band mit 76 laufen lassen, also mit doppelter Geschwindigkeit. In seiner Not ließ Blattner dasselbe Band anschließend noch einmal mit richtiger Geschwindigkeit ablaufen. Proteste gab es nicht. Was vielleicht daran gelegen haben könnte, dass die Sendung in der Anfangszeit des ersten eigenen UKW-Programms lief – und nicht auf der damals noch viel populäreren Mittelwelle. Dieses nur abends zwischen 18.00 und 22.30 Uhr ausgestrahlte Programm (ab 1953) kam aus dem „Studio 26“, zusätzlich angemieteten Räumen in der Martin-Luther-Str. 26 nicht weit von der Wartburg in Richtung Eisenbahnbrücke. In dem Gebäude war u.a. auch das Büro von Zeitfunkchefreporter Gottfried Damm, erinnert sich Blattner.
Das „Studio 26“ hatte eine „zentnerschwere“ Tür, die man eher aufstemmen als aufmachen musste. Das allerdings fiel Peter Blattner eines Abends nach Sendeschluss erst etwas spät wieder ein. Da hatte er schon abgeschlossen und spurtete zum Bahnhof, um den Zug nach Homburg noch zu erreichen. Sprecherin Martha Nikodemus war mehr dankbar als ungehalten, als Blattner sie dann doch noch aus ihrem „ Gefängnis“ befreite.
Techniker konnten praktischerweise gleich in der Wartburg übernachten, wenn sie vom Nachmittag bis zum nächsten Mittag eingeteilt waren. Bei einem solchen Dienst hatte Tontechniker Helmuth Scheuer (später mit eigener Bastel-Sendung im Fernsehen erfolgreich) auch seine Premiere als Rundfunksprecher. Es war wohl Ferdi Welter, der nicht pünktlich morgens um sechs zum Sendebeginn erschien. Da übernahm Scheuer kurzerhand selbst die Ansagen. Das Echo im morgendlichen Kollegenkreis war sehr positiv. Programmleute sollen so früh noch nicht wach gewesen sein.
Ferdi Welter („Gudd war der!“) moderierte eines Morgens mal im Schlafanzug, es war ja kein Fernsehen. „Ei, ihr Knechtcher, ich bin doch noch im Bett“, hatte er dem LVD (Leiter vom Dienst, überwachte den Sendungsablauf) am Telefon geantwortet, nachdem er nicht pünktlich zum Sendebeginn erschienen war. Blitzschnell vom Fahrer abgeholt, blieb dem Ferdi wohl zum Anziehen keine Zeit mehr. Aber seine „Bimmel“ hatte er dabei. Sonst wären wohl einige andere Saarländer auch noch zu spät zur Arbeit gekommen, denn damit unterstützte er immer lautstark seine Zeitansagen. Auch wenn die mit zunehmendem Alter immer weniger gestimmt haben sollen.
Beim Morgendienst musste besonders darauf geachtet werden, dass auch ja alle Werbespots gespielt wurden. Wenn’s knapp wurde, liefen dann auch schon mal drei eingeblendet in nur einen Instrumentaltitel.
Peter Blattner erinnert sich gern an seine Hörfunk-Zeit in der Wartburg bei Radio Saarbrücken und in den Anfängen des SR: „Wir waren eine große Familie in dieser „Pionier-Zeit“ – gelegentlicher Huddel, wie z.B. bei einem Streik, eingeschlossen.“ Bereits 1959 wechselte er als Fernseh-Tonmann auf den Halberg.
Die „Wartburg“: vom Gemeindehaus zum Radio-Haus
Im Jahr 2012 ist es ein halbes Jahrhundert her: 1962 hatte die „Wartburg“ als Funkhaus ausgedient. Die damals zwei Radio-Programme des SR kamen vom 5. September an aus dem neuen Hörfunkgebäude auf dem Halberg.
Für das ehemalige evangelische Gemeindehaus „Wartburg“ in der Saarbrücker Martin-Luther-Straße hatte die Radio-Zeit im Zeichen des Hakenkreuzes begonnen. Am 4. Dezember 1935 weihte dort Reichspropaganda-Minister Joseph Goebbels den Reichssender Saarbrücken feierlich ein. Der Gemeindesaal wurde dafür zum großen Radio-Sendesaal. Und blieb es.
Schon elf Jahre später, am 5. März 1946, fand darin wieder eine Radio-Eröffnung statt: die von Radio Saarbrücken.
Und damit war die Wartburg dann ein „richtiges“ Funkhaus. Denn fortan gab es dort auch alle anderen Studios, die Redaktionen, Verwaltung und die Technik. Bei der begann Peter Blattner 1954 seine Lehre. Er war erst der dritte Lehrling. Drei Jahre später wurde aus „Radio Saarbrücken“ der Saarländische Rundfunk. Auch für ihn war die „Wartburg“ noch sechs Jahre lang das Funkhaus. (ab)
Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz; Mitarbeit: Thomas Braun, Ilse Laudenklos, Wolfgang Gerling, Roland Schmitt