Für Werbezwecke gab es ein sauber kaschiertes Bild vom Radiophon-Laden – ohne das „Trümmerumfeld“ der Hausfassade. Und noch ohne Fernsehgeräte.  (Foto: Klaus Peter Weber)

Damals, als eine Maus im Radio wohnte - nach dem Krieg zum Radio-Reparieren aufs Land

 

Was wäre das Radio ohne seine Hörerinnen und Hörer? Und was hätten diese vom Radiohören, wenn die Radio-Mitarbeiter nicht tagtäglich für ein interessantes Programm sorgen würden? Empfangen können sie das allerdings nur, wenn die Radioindustrie zuvor genügend Radiogeräte produziert hat. Und wenn es dann auch Geschäfte gibt, in denen sie zu kaufen und bei Bedarf zu reparieren sind.

Einer der ersten Radiohändler nach dem Krieg war an der Saar die Firma Radiophon in Saarlouis. Sie gehörte den beiden Kompagnons Werner Kiefer und Karl-Heinz Weber. Wie ihre Geschäfte ab 1946 langsam in Gang kamen, erlebte Webers Sohn Klaus Peter von klein auf mit.

Von Klaus Peter Weber

Das erste Musikstück, das sich mir ab dem zarten Alter von einem Jahr einprägte und das mir bis heute immer noch eine Gänsehaut bereitet, war eine kurze Passage aus Liszts Préludes.

Immer wenn diese sogenannte „Russland-Fanfare“ als Erkennungssignal ertönte, entstand in unserer Berliner Wohnung eine Art Panik. Irgendein Familienmitglied, das sich gerade in Hörweite des Volksempfängers befand, rannte los, um schnell noch lauter zu drehen. Dann donnerte es aus dem Lautsprecher: „Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt!“ Später erzählte mir meine Mutter, dass ich auch schon mal mit Nasenbluten reagierte. Als dann ab 1943 immer öfter diesem Paukenschlag noch eine panische Flucht in den Berliner Zoobunker folgte, war daraus ein wahres Trauma erwachsen.[1] [2]

Klaus Peter Weber als Kleinkind (Foto: Klaus Peter Weber privat)
Klaus Peter Weber als Kleinkind.

Wohl die meisten Volksempfänger aus der Hitlerzeit blieben auch nach Kriegsende 1945 noch in Gebrauch. Neue Geräte gab es anfangs nicht zu kaufen. Und immer, wenn ich irgendwo einen Volksempfänger sah, weckte er selbst im stummen Zustand bei mir die Erinnerung an diese furchterregende Zeit. Bis Anfang der 1950er Jahre – gut fünf Jahre nach Kriegsende – sollte ich ihm noch öfters begegnen.[3]

In Berlin total ausgebombt, fanden wir Webers schließlich an der Saar Unterschlupf bei Werner Kiefer, einem Studienfreund meines Vaters. Im Dachgeschoss seines Elternhauses in Saarlouis/Altforweiler bekamen wir eine Wohnung.

Mein Vater als Diplomingenieur und bald zusätzlich frisch gebackener Rundfunkmechaniker-Meister und sein Freund Werner Kiefer mit Musikstudium gründeten 1946 gemeinsam ein Geschäft für Rundfunkgeräte und Schallplatten, später auch für Musikinstrumente. In den Trümmern einer Vauban-Kaserne in der Gefängnisstraße in Saarlouis hatten sie die Räume dafür hergerichtet. Ihre Firma tauften sie auf den Namen „Radiophon“.[4] Das Wort wurde in Frankreich anfangs für Radioapparate gebraucht. Die beiden Geschäftsgründer meinten damit sowohl  die Radioapparate, die sie reparierten und verkauften, wie auch Phono[5]-Artikel wie Schallplatten, Plattenspieler und  Musikinstrumente, die Domäne seines Partners.

Das Radiogeschäft „Radiophon“. (Foto: Klaus Peter Weber)
Das Radiogeschäft „Radiophon“ von „Weber und Kiefer“ in Saarlouis, fotografiert 1958 von einem Nachbarn.

Die Radiophon-Werkstatt lag über dem Geschäft in der ersten Etage. In seinem Tagebuch hielt Vater Karl-Heinz Weber genau fest, wie sie im ehemaligen Militärgefängnis der Vauban-Kaserne entstand.

Auszug aus dem Tagebuch von Karl-Heinz Weber.

Um eine Klientel im Umfeld von Saarlouis zu gewinnen, hausierte mein Vater mit kleinem Besteck über die Dörfer im Saargau und bot sich an, defekte Radiogeräte direkt vor Ort zu reparieren. Öfter mal, wenn ich meine Hausaufgaben mehr oder weniger erledigt hatte, durfte ich ihn begleiten. Und in fast allen Fällen stießen wir auf Volksempfänger, die den Krieg überlebt hatten.

Meinen Vater freute es, hatten diese Radioapparate doch ein sehr übersichtliches Innenleben mit immer den gleichen Defekten. Die drei verschiedenen Radioröhren, die im Volksempfänger verwendet wurden, hatte er immer als Ersatzteile dabei.

Verschiedene Volksempfänger aus dem SR-Radiomuseum.  (Foto: Alexander Lava/ SR)
Verschiedene Volksempfänger aus dem SR-Radiomuseum.

Wenn wir bei einem Kunden eintrafen, fiel aus Furcht vor einer teuren Reparatur öfter mal der Satz: „Schlimm kann es nicht sein, gestern ging er noch!“ Zur Winterzeit passierte es einmal, dass ein Kunde auf einem Bauernhof den Defekt so beschrieb: „Die Stimmen klingen sehr dumpf und kratzend.“ Beim Öffnen der Rückwand zeigte sich schnell die Ursache. Eine Maus hatte sich von der Wärme der Elektronenröhren anlocken lassen und sich nicht nur durch die Rückwand genagt. Sie hatte auch ein großes Loch in die Lautsprechermembrane gefressen und begonnen, aus dem Material ein Nest zu bauen.

Es war die Hamsterzeit in den Endvierzigern. So fuhren wir nach einigen wiederbelebten Volksempfängern mit Kartoffeln, Eiern, Blut- und Leberwurst, Speck usw. zu Mutter und meinen drei Geschwistern nach Hause.

Als Firmenwagen diente ein FRAMO-Dreiradauto. Framo war eine sächsische Automobilmarke, die ab 1927 Kleintransporter, später auch kleine PKW herstellte. Der Name Framo leitet sich von der ursprünglichen Produktionsstätte Frankenberg ab: Frankenbergmotorenwerke. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die IFA[6] unter dieser Marke die Produktion von Kleintransportern fort. 1957 erfolgte die Umbenennung in VEB[7] Barkas-Werke Hainichen.

Ein Auto zu kaufen, auch nur einen Gebrauchtwagen, war vor der Währungsreform unmöglich. Durch Zufall entdeckten die beiden Radiophon-Partner bei einem Schrotthändler die Reste eines in drei Teile zerlegten dreirädrigen Kleinlieferwagens FRAMO. Ein befreundeter Fachmann bastelte sie wieder zusammen und lackierte den wieder geborenen Dreiradwagen. Einen TÜV gab es Gott sei Dank damals noch nicht, wie sich Vater Weber erinnerte.

Der Firmenwagen der Fa. „Radiophon“.  (Foto: Klaus Peter Weber)
Der Firmenwagen der Fa. „Radiophon“.

Sehr früh beobachteten mein Vater und sein Kompagnon die Entwicklung des UKW[8]-Sendeverfahrens im „Reich“ (wie an der abgetrennten Saar noch häufig zur Bundesrepublik Deutschland gesagt wurde). UKW versprach nicht nur einen Quantensprung in der technischen Qualität der Übertragungen, sondern für ihn auch die Chance, endlich den großen Stamm an Reparaturkunden als Käufer für Neugeräte gewinnen zu können. Um dies zu forcieren, veranstaltete er öffentliche Vorträge, in denen er „in verständlicher Weise“ (Saarbrücker Zeitung vom 18.06.1951) in die neue Welt des UKW-Funks einführte. In seinem Tagebuch berichtete Vater Karl-Heinz Weber über seine Vorträge zu den neuen UKW-Radiogeräten. Diese Vorträge fanden auch das Interesse der Presse.

Tagebucheintrag von Karl-Heinz Weber zur UKW-Einführung.

Im August 1950 stellte die Firma Philips meinem Vater ein Demonstrationsexemplar der neuen Erfindung des Autoradios zur Verfügung.[9] Da, wie jeden Sommer, der sehr populäre saarländische Seifenkisten-Grand Concours der Saarbrücker Zeitung anstand, kamen er und sein Kompagnon Werner Kiefer auf die Idee, diese Gelegenheit zu einem Werbegag zu nutzen. Sie bastelten eine Seifenkiste mit eingebautem Autoradio und entsprechender Werbeaussage auf der „Motorhaube“.

Die „Seifenkiste“ der Firma „Radiophon“ (Saarlouis).  (Foto: Klaus Peter Weber)
Die „Seifenkiste“ der Firma „Radiophon“ (Saarlouis).

 

Die beiden Firmenbesitzer entsprachen aber selbst „nicht ganz“ der für die Teilnehmer vorgeschrieben Altersklasse – also setzten sie mich Achtjährigen in die Kiste.

Nun wurde ein Autoradio der ersten Generation noch mit Elektronenröhren betrieben, die einen hohen Strombedarf hatten. Deshalb versteckten sie unter der Motorhaube einen veritablen KFZ-Akku, der ein hohes Eigengewicht hatte.

1950 auf Reklamefahrt für Autoradios: Klaus Peter Weber als Chefpilot der Radiophon-Seifenkiste.  (Foto: Klaus Peter Weber)
1950 auf Reklamefahrt für Autoradios: Klaus Peter Weber als Chefpilot der Radiophon-Seifenkiste.

 

Vor dem Start war ich mit meiner tönenden Seifenkiste die große Attraktion. Leider aber nicht sehr lange. Gleich nach dem Start spürte ich zwar die enorme Beschleunigung meiner durch den schweren Akku „gedopten“ Seifenkiste. Ich ging sofort in Führung. Aber die Strecke in der unteren Kreuzbergstraße in Saarlouis-Fraulautern endete mit einer scharfen Linkskurve. Die wurde mir zum Verhängnis.

Meine Seifenkiste reagierte nicht auf Lenkungsversuche. Stattdessen folgte sie dem Massenträgheitsgesetz und schoss geradeaus gegen eine Gartenmauer. Die blieb zwar weitgehend unbeschädigt. Ich aber musste für drei Wochen ins Krankenhaus. Und schlimmer noch: Deswegen konnte ich nicht an der Ende August stattfindenden Aufnahmeprüfung zum Gymnasium teilnehmen. War ich doch schon hart bestraft durch den Unfall, folgte dann auch noch eine spätere Einzelprüfung! Die bestand ich zum Glück – so unbeschadet wie das Autoradio in der Seifenkiste den Crash überlebt hatte. Ob mein Einsatz allerdings wesentlich zur Steigerung des väterlichen Geschäftserfolges beigetragen hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Dem großen Erfolg des Autoradios hat er jedenfalls zumindest nicht geschadet. Es gehört längst zur Standardausstattung der Autos.

Drei Jahre später bei der Einführung des Fernsehens in Saarlouis war mein Vater wieder ein Pionier. Was er Anfang Januar 1954 einem größeren Kreis interessierter Zuschauer“  in Saarlouis vorführte, war etwas durchaus Besonderes. Der Berichterstatter des Saarlouiser Kreisanzeigers nannte seine „Fernsehschau“ etwas „Bedeutsames“, „Neues und Großes“. [10]

Ausschnitt aus dem „Kreisanzeiger für Saarlouis“ vom 13.1.1954.

Das erste im Saarland zu empfangende deutsche Fernsehprogramm kam ab Ende Mai 1953 vom damaligen ARD-Sender Südwestfunk (SWF) „über die Grenze“ aus Rheinland-Pfalz. Wer es sehen wollte, durfte nicht weit weg von der Grenze wohnen, brauchte oft eine hohe Antenne und immer ein Fernsehgerät für die deutsche Zeilennorm. Wer das französische Fernsehen schauen wollte, musste ein Gerät mit der französischen Norm kaufen. Wer beides empfangen wollte, benötigte dafür ein teureres Mehrnormengerät.

Das erste im von der Bundesrepublik abgetrennten Saarland gesendete Fernsehprogramm hieß „Telesaar“. Es hatte am 23. Dezember 1953 Programmstart. Das von einer französischen Gesellschaft produzierte Privatprogramm wurde mit der französischen Zeilennorm gesendet.

Auf dem französischen Fernsehgerät, das mein Vater für seine öffentliche Vorführung verwendet hatte (vermutlich von der Firma Thomson) machte ich dann bei uns zuhause Bekanntschaft mit dem Fernsehen. Ich erinnere mich, bei Telesaar den Conférencier/Showmaster Heinz Schenk gern gesehen zu haben. Wie ich als Zuschauer, machte er vor den Telesaar-Kameras seine ersten Fernseh-Erfahrungen. Deutschlandweit sehr populär wurde er dann später in der Fernsehsendung „Zum Blauen Bock“ des Hessischen Rundfunks.

Auf einen Werbeeinsatz von mir zur Ankurbelung ihres Absatzes von Fernsehgeräten hatten mein Vater und sein Partner verzichtet. Aber das Fernsehen wurde auch so zu einem „Selbstläufer“ – und später zum Beruf meines Lebens.

Klaus Peter Weber im Filmgeberraum 2. (Foto: Klaus Peter Weber privat)
Klaus Peter Weber im Filmgeberraum 2.

Im Radio hörte ich damals sehr gern die „Mundart-Hörspiele“. Das Saarbrücker Platt gefiel mir viel besser als der Berliner Dialekt meiner Geburtsstadt. Mein Radio-„Platt-Lehrer“ war zuerst „Radio Saarbrücken“ (der Vorgängersender des Saarländischen Rundfunks). Nachdem das Saarland ein Land der Bundesrepublik Deutschland geworden war, gab es ab dem 1. Januar 1957 dann den öffentlich-rechtlichen Saarländischen Rundfunk als Rechtsnachfolger von Radio Saarbrücken. Anfangs strahlte er aber nur ein Radioprogramm aus.
Das SR-Fernsehen wurde erst schrittweise über mehrere Jahre hinweg aufgebaut – wobei ich dann ja bald auch mitgeholfen habe.


[1]Auf dem Dach des Berliner Zoobunkers war der junge saarländische Offiziersanwärter und spätere SR-Kollege Heinrich Kalbfuss als Flakhelfer eingesetzt.

[2] Vgl. „Fundstück zur SR-Geschichte“: Schloss Halberg: im Krieg, beim Umbau und als Botschafterresidenz

[3] Vgl. „Fundstück zur SR-Geschichte“: Ton-Techniker Blattner und die „Riesentorte“

[4] „Radiophon“ hieß bald nach 1945 auch ein rundfunkeigenes Schallplattenlabel des Berliner Rundfunks. Es produzierte Schallplatten nur für den Rundfunkgebrauch.

[5]  Aus dem Altgriechischen für Ton, Klang, Stimme

[6] IFA war das Akronym für Industrieverband Fahrzeugbau. Unter diesem Kurznamen hatte die DDR mehrere Großwerke des Fahrzeugbaus zusammengeschlossen.

[7] VEB = Volkseigener Betrieb

[8] Die Nutzung der ultrakurzen Wellen (UKW) brachte neue Frequenzen und machte damit zahlreiche zusätzliche Radioprogramme möglich. Das war besonders für Deutschland wichtig, das durch den verlorenen Krieg bei der neuen Frequenzverteilung im Internationalen Wellenplan besonders schlecht weggekommen war.

[9] Inzwischen wird an keinem anderen Ort das Radio so häufig genutzt wie im Auto.

[10] 2024 gibt es in so gut wie jedem deutschen Haushalt mindestens ein Fernsehgerät (96%). Die Zahl der Haushalte mit mehreren Fernsehern nimmt beständig zu.


Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz; Illustration: Burkhard Döring, Magdalena Hell und Klaus Peter Weber; Layout/ Gestaltung: Magdalena Hell; Standbilder: Sven Müller (Fernseh-Archiv), Ko-Recherche: Stefan Weszkalnys

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