Freistatt
Der Deutsche Drehbuchpreis ging 2013 an „Freistatt“. Auch der fertige Film überzeugt mit großartigen und bewegenden Schauspielleistungen. Eine aufwühlende, verstörende Story um den Kampf eines Jungen gegen Gewalt und Unterdrückung. Äußerst sehenswert – aber nichts für schwache Nerven.
Wolfgang weint, jammert, fleht. Der 14-Jährige klopft verzweifelt an die Scheiben des Autos, in dem seine Mutter und der verhasste Stiefvater sitzen. Doch von seiner überforderten Mutter kann er sich keine Hilfe erwarten. In der Diakonie Freistatt, einem Heim für Schwererziehbare, ist er auf sich alleine gestellt. Seine Familie wird ihm nicht helfen, trotz des Wissens um die brutalen Misshandlungen, denen ihr Sohn ausgesetzt ist. Einziger Ausweg: Flucht.
Greifbare Emotionen
Das Langfilmdebüt „Freistatt“ von Regisseur Marc Brummund begleitet in bewegender Weise Wolfgangs Kampf gegen ein Erziehungssystem der Unterdrückung und Gewalt. In der Diakonie Freistatt werden Jungen unter dem christlichen Deckmantel gezüchtigt. Statt in die Schule zu gehen, müssen sie unter menschenverachtenden Bedingungen schwere körperliche Arbeit im Moor leisten. Wer nicht spurt, muss leiden. Mit Gewalt versuchen die Aufseher, genannt „Brüder“, den Willen der Jungen zu brechen – körperlich und verbal.
Doch Wolfgang wehrt sich. Er lässt sich nicht unterkriegen. Sein unbändiger Kampfeswille ist beeindruckend und lässt den Zuschauer mitfiebern und -leiden. Louis Hofmann brilliert in der Rolle des rebellischen Jungen. Jede Emotion nimmt man ihm ab.
Ebenfalls großartig spielt Enno Trebs in der Nebenrolle des Bernd, der rechten Hand von Bruder Wilde. Diese Figur macht im Film die wohl größte Entwicklung durch: Einst aus Selbstschutz Teil des Peiniger-Systems geworden, weist er anfangs die anderen Jungen brutal in ihre Schranken - doch Wolfgangs Widerstand weckt auch in Bernd wieder den Mut, sich gegen Aufseher Wilde zu wehren.
Lieblingszitat: Für Wolfgangs Jugendamtsbericht findet Brockmann eine gute Verwendung und sorgt für Schmunzeln: „ Ich halte große Stücke auf die Gutachten vom Jugendamt; daraus lassen sich ausgezeichnet Anzugtöpfe für Setzlinge falten“.
Verzweiflung und Hoffnung so nah beieinander
Dieser Wilde (Stephan Grossmann) genießt seine Machtposition und hat sichtlich Spaß daran, die Jungen zu schlagen und zu quälen. Genauso perfide: Hausvater Brockmann (Alexander Held) und seine Psychospielchen. Der ältere Herr hegt und pflegt seinen Garten liebevoll und erscheint zunächst wie ein fürsorglicher Lichtblick im Dunkel des Heims. Doch als Wolfgang zarte Bande zu Brockmanns Tochter knüpft, zeigt der eiskalte Brockmann sein wahres Gesicht.
Die Brutalität in „Freistatt“ ist erschreckend und ganz sicher nichts für schwache Nerven. Der Film ist herzzerreißend, vor allem, weil er auf einer wahren Geschichte beruht - den Erfahrungen des ehemaligen Zöglings Wolfgang Rosenkötter. Es ist kaum vorstellbar, wie es den Jungen gelungen sein soll, in diesem System körperlich und auch seelisch zu überleben. Das Drama macht betroffen und sprachlos, umso mehr da der Film am Originalschauplatz gedreht wurde. Die tristen, farblosen Kulissen untermauern die Verzweiflung der Jungen.
Kein Wunder also, dass das Drehbuch mit dem Deutschen Drehbuchpreis 2013 und dem Emder Drehbuchpreis 2012 belohnt wurde. „Freistatt“ ist ein Film voller Gewalt, Unterdrückung und Verachtung. Er zeigt Verzweiflung, aber durch Wolfgangs Auflehnung auch eine gehörige Portion Hoffnung.
Regie: Marc Brummund
Produktion: Zum Goldenen Lamm Filmproduktion
Darsteller: Louis Hofmann, Alexander Held, Stephan Grossmann, Katharina Lorenz, Max Riemelt, Uwe Bohm u. a.
Deutschland 2014 | DCP | Farbe | 104 Min. | Uraufführung