Etikett: Denke daran (Foto: SR)

Wie Radiohörer zu „Rundfunkverbrechern“ wurden

 

Als am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Einmarsch in Polen anfing, begann auch eine bis dahin beispiellose Schlacht im Äther. Obwohl die Waffen an der deutschen Westgrenze vorerst weitgehend schwiegen, tobte die „Rundfunkschlacht“ von Anfang an auch über den Reichssender Saarbrücken. Für das benachbarte Frankreich wurden zwischendurch immer wieder deutsche Propaganda-Sendungen in Französisch ausgestrahlt. Gleichzeitig war für die Saarländer, wie für alle Deutschen im „Reich“, das Hören ausländischer „Feindsender“ ein Rundfunkverbrechen.

Von Albrecht Pendt* und Axel Buchholz

Nachdem die Deutschen Adolf Hitler an die Macht gewählt hatten, ließ er Presse und Rundfunk gleichschalten. Aber eine letzte Lücke blieb ihnen, wenn sie nicht allein auf die von der NS-Propaganda gesteuerten Informationen angewiesen sein wollten: das Abhören ausländischer Sender. Um auch sie noch für die deutsche Bevölkerung zu schließen, stellten die Nationalsozialisten zum Kriegsbeginn das Abhören und Verbreiten von Meldungen ausländischer Rundfunksender in einer „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ unter Strafe.

Reichsgesetzblatt. Zum Vergrößern bitte anklicken.

Im ersten Paragraph wurde neben der Gefängnisstrafe auch gleich Zuchthaus angedroht – eine Strafe, die eigentlich besonders schweren Verbrechen vorbehalten sein sollte:

§ 1 Das absichtliche Abhören ausländischer Sender ist verboten. Zuwiderhandlungen werden mit Zuchthaus bestraft. In leichteren Fällen kann auf Gefängnis erkannt werden. Die benutzten Empfangsanlagen werden eingezogen.

Im zweiten Paragraph war für besonders schwere Fälle sogar die Todesstrafe vorgesehen:

§ 2 Wer Nachrichten ausländischer Sender, die geeignet sind, die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefährden, vorsätzlich verbreitet, wird mit Zuchthaus, in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft.

Ernst Becker. (Foto: privat)
Toningenieur Ernst Becker.

Fernseh-Chefcutterin Ilse Laudenklos. (Foto: SR)
Fernseh-Chefcutterin Ilse Laudenklos.

Ehemalige Mitarbeiter des Saarländischen Rundfunks haben diese drastische Abschreckungsmaßnahme noch deutlich in Erinnerung. Der ehemalige Programmdirektor und Chefredakteur Otto Klinkhammer sagt: „Wir wussten, dass es sehr gefährlich war, die sogenannten „Feindsender“ überhaupt zu hören und noch gefährlicher, auch noch darüber zu reden.“ Die frühere Fernseh-Chefcutterin Ilse Laudenklos wusste ebenfalls, dass es „sehr unangenehm“ wurde, wenn man erwischt wurde. Aber beider Eltern und auch sie selbst hätten ohnehin keinen „Feindsender“ gehört. So wie das auch in den Familien des späteren Toningenieurs Ernst Becker und des FS-Unterhaltungschefs A. C. Weiland der Fall war. Weiland fügte hinzu: „Wir konnten uns zu dieser Zeit noch gar kein Radio leisten.“
Das dürfte damals auch bei vielen anderen der Fall gewesen sein. Und wer dann wenigstens glücklicher Besitzer eines Volksempfängers wurde, der konnte „Feindsender“ oft gar nicht hören. Die Geräte waren technisch so ausgelegt, dass nur besonders leistungsstarke Sender empfangen werden konnten. Das waren meist nur die deutschen.

Verwaltungsmitarbeiter Horst Schimpf sagt: „Ich vermute, dass mein Vater Alfred ,Feindsenderʻ gehört hat, weil er den Nationalsozialisten kritisch gegenüberstand. Aber vor Kindern wurde aus Vorsicht davon nichts erzählt.“ Allerdings war das nicht überall so. Heinrich Kalbfuss (langjähriger Moderator von „Fragen an den Autor“) wusste, dass sein Vater, „ein Liberaler mit geballter Faust in der Tasche“, das deutschsprachige BBC-Programm hörte. Allerdings konnte er es auch schlecht verheimlichen, denn die drei Paukenschläge zum Sendungsanfang waren in der Wohnung selbst durch die geschlossene Tür unüberhörbar. 

Schul-, Jugend- und Kinderfunkchef Heinrich Kalbfuss. (Foto: SR)
Schul-, Jugend- und Kinderfunkchef Heinrich Kalbfuss.

Er schärfte seinem Sohn immer wieder ein, „ja seine Klappe zu halten und in der Schule nicht drüber zu sprechen.“ Zuhause gab Vater Kalbfuss so manche Information in allgemeiner Form auch weiter: „Man hat da so was gehört.“ Für seinen Sohn Heinrich, der wie die meisten Jugendlichen in dieser Zeit bei der Hitlerjugend war und begeistert Fähnchen zum deutschen Frontverlauf auf Landkarten absteckte, war es nicht immer einfach, das zu verarbeiten. „Für Kinder war es in dieser Zeit schwer, sich zurechtzufinden.“

SR-Fundstücke: BBC-Erkennungsmelodie
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SR-Fundstücke: BBC-Erkennungsmelodie
Hörspielchef Werner Klippert hörte als Hitlerjunge zusammen mit seinem Vater den damaligen „Feindsender“ (Foto: SR; Quelle O-Ton: Deutsches Rundfunk-Archiv-CD, V-1998, SR-Archivnummer 9700537, Take 1)

Klaus Altmeyer , der erste SR-Pressechef. (Foto: SR)
Klaus Altmeyer , der erste SR-Pressechef.

Werner Klippert, späterer SR-Hörspielchef, wusste ebenfalls, dass sein Vater, der „sowieso dagegen war“, regelmäßig BBC hörte. „Das ,Bum Bum Bumʻ hinter der Zimmertür“, hat er noch heute bestens im Gedächtnis. Auch für ihn galt: „Draußen nichts erzählen.“ Daran hat er sich „selbstverständlich“ gehalten, auch wenn er es selbst für falsch hielt. „Ich war ja schließlich mit Begeisterung bei der Hitler-Jugend.“ Trotzdem respektierte ich es, weil ich wusste: „Für meinen Vater war es richtig.“

Klaus Altmeyer, lange SR-Pressechef, hörte sogar zusammen mit seinem Vater „hinter abgeschlossener Tür“ mit einem „leistungsfähigen Seibt-Gerät ,Radio Beromünsterʻ“. Der Schweizer Sender war über Mittelwelle in weiten Teilen Europas zu empfangen und als neutrale Informationsquelle auch bei Vater Altmeyer geschätzt: „Mein Vater hatte am Ersten Weltkrieg teilgenommen und wollte immer über den Frontverlauf Bescheid wissen.“ Obwohl Sohn Klaus damals HJ-Zugführer war, hatte er mit dem „Feindsender“-Hören kein Problem: „So sehr wurden wir in der HJ ja nicht indoktriniert.“

Zumindest in einem Fall war das im Saarland ganz anders. Der SR-Hörer S. B. weiß aus dem eigenen größeren Familienkreis, dass ein sehr überzeugter Hitlerjunge seinen eigenen Vater angezeigt hat. „Das spaltete die Familie, auch noch lange nach dem Krieg.“ Meist kamen die Anzeigen gegen saarländische Hörer von „Feindsendern“ aus dem näheren Umfeld: von Untermietern, Arbeitskollegen, aus der Nachbarschaft, von der Haushaltshilfe oder sogar der Ehefrau.

Roland Freisler (Bildmitte). (Foto: dpa)
Roland Freisler (Bildmitte), Präsident des "Volksgerichtshofes", war berüchtigt als „Blutrichter“.

Warum die Nationalsozialisten die „Feindsender“-Hörer verfolgten, begründeten sie am Anfang der „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ so:

„Im modernen Krieg kämpft der Gegner nicht nur mit militärischen Waffen, sondern auch mit Mitteln, die das Volk seelisch beeinflussen und zermürben sollen. Eines dieser Mittel ist der Rundfunk. Jedes Wort, das der Gegner herübersendet, ist selbstverständlich verlogen und dazu bestimmt, dem deutschen Volke Schaden zuzufügen.“

Nun sollte die Verordnung aber keinesfalls als Misstrauenserklärung gegen das eigene Volk verstanden werden, das womöglich nicht in der Lage sei, Informationen aus dem neutralen oder feindlichen Ausland selbst richtig einzuschätzen. Deshalb heißt es in der Präambel der Verordnung weiter:

„Die Reichsregierung weiß, dass das deutsche Volk diese Gefahr kennt, und erwartet daher, dass jeder Deutsche aus Verantwortungsbewußtsein heraus es zur Anstandspflicht erhebt, grundsätzlich das Abhören ausländischer Sender zu unterlassen. Für diejenigen Volksgenossen, denen dieses Verantwortungsbewußtsein fehlt, hat der Ministerrat für die Reichsverteidigung die nachfolgende Verordnung erlassen.‟
Das Gebäude des Landgerichts Saarbrücken: Hier wurde gegen „Rundfunkverbrecher“ verhandelt. (Foto: Oettinger, Reiner F. )
Das Gebäude des Landgerichts Saarbrücken: Hier wurde gegen „Rundfunkverbrecher“ verhandelt.

Wie wichtig den Machthabern die Austrocknung der Informationsquelle des ausländischen Radios war, verdeutlichen auch die Regelungen über die gesetzliche Zuständigkeit. Zur Aburteilung von „Rundfunkverbrechern“ waren nämlich die „Sondergerichte“ berufen, die auf Antrag der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) tätig wurden. Diese bereits 1933 eingerichteten Strafgerichte sollten eine schnelle und abschreckende Bestrafung der Verfolgten ermöglichen. Zu diesem Zweck wurde die Strafprozessordnung nachhaltig geändert, um insbesondere die Verteidigungsrechte massiv einzuschränken. Rechtsmittel – also Berufung oder gar Revision – gegen die Urteile der Sondergerichte waren ausgeschlossen. Den Verurteilten blieben nur Gnadengesuche, die lediglich in wenigen Ausnahmefällen Erfolg hatten. Im Bezirk des Oberlandesgerichts Zweibrücken war für das „Saargebiet“ und zeitweise auch für die Pfalz das Sondergericht am Landgericht Saarbrücken zuständig, das auch in den Außenstellen Kaiserslautern, Ludwigshafen und Neustadt verhandelte.

Die Aufgabe der Sondergerichte beschrieb der Staatssekretär des Reichsjustizministeriums Roland Freisler (später der Präsident des "Volksgerichtshofes") 1939 so:

„Sie (die Sondergerichte) müssen ebenso schnell sein wie die Panzertruppe, sie sind mit großer Kampfkraft ausgestattet … Sie müssen denselben Drang und dieselbe Fähigkeit haben, den Feind aufzusuchen, zu finden und zu stellen, und sie müssen die gleiche durchschlagende Treff- und Vernichtungsgenauigkeit gegenüber dem erkannten Feind haben.“
Todesurteil für Kurzwellenhörer. (Zum Vergrößern bitte anklicken).

Das Sondergericht war anfangs im Normalfall mit drei Richtern besetzt, in Fällen geringerer Schuld offenbar mit zwei Richtern. Später verhängten aber auch zwei Richter langfristige Zuchthausstrafen. Daneben wurden – soweit noch vorhanden – immer die Rundfunkgeräte als Tatwerkzeuge eingezogen. Das Gericht verhandelte in der Regel unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Freudenberger und den Beisitzern Landgerichtsrat Woltering und Landgerichtsrat Dr. Hack oder Landgerichtsrat Krotten. Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft waren die Staatsanwälte Rang, Kühn, Kammer, Itschert, Beumelburg, Lingens und Dr. Mennecke.

Akten des Sondergerichts sind erhalten, wenn auch wohl nicht alle. Sie finden sich im Landesarchiv Saarbrücken.

*Albrecht Pendt war von 2007 bis 2011 Generalstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft für die Pfalz in Zweibrücken. Er schrieb über engagierte Protestanten und deren Verhalten im Nationalsozialismus. Pendt wuchs in Homburg auf und war ein Fan von „Hallo Twen“ mit Manfred Sexauer.

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Michael Fürsattel, Eva Röder, Roland Schmitt, Klaus Peter Weber

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