Maud Ventura: "Mein Mann"

Maud Ventura: „Mein Mann“

Meike Stein   05.11.2024 | 11:55 Uhr

Das Debüt „Mein Mann“ der jungen französischen Autorin Maud Ventura wurde zum Bestseller. Nun ist der international beachtete Roman auf Deutsch erschienen. Meike Stein hat ihn gelesen und mit der Autorin gesprochen.

Ein charismatischer, wohl situierter Ehemann, der im Finanzsektor tätig ist, ein Haus in der Vorstadt, zwei brave Kinder: Die gutaussehende namenlose Erzählerin in Maud Venturas „Mein Mann“ führt auf den ersten Blick ein perfektes Leben. Wären da nicht der nächtliche Juckreiz, der sie nicht schlafen lässt. Und das Gedankenkarussell, das sie unablässig jedes Wort und jede Geste ihres Mannes hinterfragen und analysieren lässt. Warum ergreift er vor dem Fernseher nicht ihre Hand? Warum vergleicht er sie beim Pärchenabend mit einer gewöhnlichen Clementine, aber die Frau des Gastgebers mit einer exotischen Ananas? Will er sich etwa scheiden lassen?

Venturas schlauer und hochkomischer Roman über eine 40-jährige zutiefst verunsicherte Ehefrau, die um Kontrolle ringt, stellt die Frage nach toxischer Liebe ganz neu.

I was really interested by the idea of loving someone too much. I was wondering: It is possible to love too much, tob e too intense, tob e too in love? And I felt that fiction was the right way form e to investigate. It was my way to try to understand what was goin on in my life and in the world better. Die Idee, jemanden zu sehr zu lieben, hat mich interessiert. Ich habe mich gefragt: Ist es möglich, zu sehr zu lieben, zu intensiv zu sein, zu verliebt zu sein? Und ich hatte das Gefühl, dass die Fiktion der richtige Weg war, um das zu untersuchen. Es war mein Weg, um zu versuchen, besser zu verstehen, was in meinem Leben und in der Welt vor sich ging.

Fünfzehn Jahre sind die Erzählerin und ihr Mann bereits zusammen, und sie liebt ihn wie am ersten Tag – mit obsessiven Auswüchsen. Das Buch erzählt eine Woche aus ihrem Leben, dabei hat Ventura jedem Tag eine Farbe und eine andere Stimmung zugeordnet. Im Verlauf des Textes erscheint die Protagonistin, die ihren Partner stets ausschließlich besitzergreifend „Mein Mann“ nennt, zunehmend volatil, mit jedem Kapitel treten neue, immer extremere Versuche zu Tage, die Liebe aufrechtzuerhalten: Von einem vermeintlich geheimen Regelwerk, mit dem sie ihren Mann zum Wohlverhalten manipulieren will, über zur Analyse aufgezeichnete Gespräche bis hin zum Ehebruch, durch den sie weiterhin geheimnisvoll und damit interessant erscheinen will.

Während die Sprache dabei immer unterhaltsam daher kommt, verarbeitet die Autorin zahlreiche feministische und gesellschaftliche Themen: die normschöne Erzählerin, eine Englischlehrerin, hat durch die Heirat einen Klassenaufstieg geschafft, ringt aber mit dem Habitus ihres neuen Umfelds. Die gesellschaftlichen und medial vermittelten Anforderungen an sie als Ehefrau und Mutter setzen sie zusätzlich unter Druck. Sie will, so sagt sie, "normal" sein – die Geschichte zeigt, wie sie dieser Wunsch zunehmend in den Wahsinn treibt.

Das grenzüberschreitende Verhalten und den dauerhaften emotionalen Ausnahmezustand kontrastiert Ventura mit den Gedanken und Obsessionen einer hoffnungslos Verliebten – es ist die Oszillation, die das Buch so faszinierend macht.

What I love about this book is that every reader will read its own story. For some people, it’s a story about co-dependency, a story about obsession, a story about love – a GREAT love story. And for other people it’s anightmare, a story about violence, almost. So it really depends on your own back story, your own definition of love. When the book was published in France an many other countries, I was very surprised to discover how different everyone was reading the same book. Was ich an diesem Buch liebe, ist, dass jeder Leser seine eigene Geschichte lesen wird. Für manche Leute ist es eine Geschichte über Co-Abhängigkeit, eine Geschichte über Besessenheit, eine Geschichte über Liebe - eine GROSSE Liebesgeschichte. Für andere ist es ein Alptraum, fast schon eine Geschichte über Gewalt. Es kommt also wirklich auf die eigene Vorgeschichte an, auf die eigene Definition von Liebe. Als das Buch in Frankreich und vielen anderen Ländern veröffentlicht wurde, war ich sehr überrascht, wie unterschiedlich jeder dasselbe Buch gelesen hat.

Ihre eigene Interpretation verrät die Autorin nicht – ihr komme es gerade auf die Diskussion an, die sich um ihre Geschichte entsponnen habe, erklärt sie. Und wie die zahlreichen Übersetzungen zeigen, ist die Debatte um die Rolle der Ehefrau global anschlussfähig.

„Mein Mann“ von Maud Ventura ist spannend wie ein Thriller und dabei schlau und unterhaltsam. Voller feiner Beobachtungen, Gespür für Komik und überraschenden Twists stellt Ventura in ihrem Roman schwierige Fragen über die Liebe im 21. Jahrhundert, verpackt diese aber in französischer Leichtigkeit.

Maud Ventura
„Mein Mann“

Hoffmann & Campe, 272 Seiten, 24 Euro
ISBN: 978-3-455-01804-2

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 05.11.2024 auf SR kultur.

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