Isabel Bogdan: "Wohnverwandtschaften"

Isabels Bogdan neuester Roman handelt von einer Wohngemeinschaft, die aus vier sehr unterschiedlichen WG-Mitgliedern besteht und die mit der Zeit eng zusammenwächst. Claudia Ingenhoven stellt das Buch vor.

Die Wohnung war viel zu groß für eine Person. Jörg fühlte sich darin verloren, nachdem seine Frau gestorben und sein Sohn nach Frankreich gezogen war. Er selbst war in Rente. Die Arbeit in der Zeitungsredaktion fehlte ihm nicht, aber seine vielen Artikel, die bewahrte er noch auf.

Zwei Untermieter hat er gefunden, Murat und Anke. Inzwischen sind sie zu einer richtigen Wohngemeinschaft zusammengewachsen. Küche, Bad und Wohnzimmer teilen sie, ihre Schlafzimmer sind Privatsphäre. Anke ist gut 10 Jahre jünger als Jörg, sie war mal erfolgreiche Schauspielerin, mittlerweile ist sie im Fernsehen nur noch zu sehen, wenn alte Filme wiederholt werden. Murat, nochmal 10 Jahre jünger, ist der Sonnenschein der WG, vor allem für Anke, wenn sie nach einem Casting wieder erleben muss, dass eine Jüngere besetzt wurde.

Ohne Murat hätte ich schon längst die Vollkrise bekommen, er ist echt eine Bank. Zuverlässig gut gelaunt. Zuverlässiger in-den-Arm-Nehmer. Zuverlässiger Suppekocher. Zuverlässiger Zum-Lachen-Bringer.

Murat ist Inhaber einer kleinen IT-Firma. Als er in einer Praxis neue Software installiert, erfährt er, dass die Zahnärztin ganz dringend ein Zimmer sucht. Bei ihnen ist doch noch Platz, findet Murat und vermittelt, dass auch Constanze einzieht. Sie hat sich gerade von ihrem Freund getrennt. Eine WG wollte sie nie, aber besser, als sich mit Anfang 30 Sonntag für Sonntag beim Tatort anzuöden.

Bis sie eine eigene Wohnung gefunden hat, wird sie es hier aushalten. Ist doch nett, dass Murat zu ihrer Begrüßung kocht.

Isabel Bogdan schlägt einen lockeren, flapsigen Ton an. Sie erzählt in kurzen Abschnitten, immer aus der Perspektive eines der WG-Mitglieder. Das ist gut gelungen, man sieht die unterschiedlichen Charaktere, als sei man ihnen schon mal in der Nachbarschaft begegnet. Was Murat geil findet, sein Lieblingswort, nennt die jüngere Constanze nice. Alle kämpfen mit den Dramen ihres Lebens, trotzdem wirkt die Geschichte harmlos, zu harmlos. Bis sich, beinahe unmerklich, etwas zwischen die Zeilen schleicht. Die Schusseligkeit von Jörg ist nicht mehr normal. Er vergisst, was er eben noch vorhatte und irgendwann sogar, dass seine geliebte Frau längst tot ist. Auch der optimistische Murat muss einsehen, dass Jörg nicht mehr der Alte ist.

Jörg putzt überhaupt nicht mehr, das muten wir ihm nicht mehr zu, er weiß gar nicht mehr, wie das geht. Was für eine seltsame Krankheit. Es ist vollkommen unberechenbar, was er weiß und was nicht…Am Anfang haben wir noch gemeckert, aber das nutzt nichts.

Jörg kann nicht mehr allein bleiben, auch Constanze sorgt sich um ihn, mehr als um ihre Eltern.

Ich frage mich in einer Dauerschleife, was mit Jörg werden soll, wie wir das stemmen sollen, wie es weitergehen kann. Ob ich doch ausziehe. Oder wir alle…Irgendwann habe ich das Projekt Wohnungssuche aus den Augen verloren, es ist ja auch wirklich schön mit den dreien. Eigentlich.

Jörg merkt selbst, dass er die Orientierung verliert, auch wenn er versucht, das zu kaschieren. Alle vier sind ratlos, und alle vier fürchten sich davor, dass ihr Zusammenleben endet. Isabel Bogdan spielt in diesem Roman durch, wie die Wohngemeinschaft mit Verantwortung umgeht. Füreinander zu sorgen und sich gleichzeitig abzugrenzen, das scheint hier eher zu gelingen als in der Herkunftsfamilie. Isabel Bogdan idealisiert nicht. Was anfangs so locker-flockig wirkt, entwickelt sich zu einer intensiven Geschichte über Bleiben oder Gehen.

Isabel Bogdan
"Wohnverwandtschaften"

Kiepenheuer & Witch, 272 Seiten, 24 Euro
ISBN: 978-3-462-00419-9

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 14.10.2024 auf SR kultur.

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