Völklinger Amazon-Fahrer: großer Druck und Lohnprellerei
Zusteller von Amazon-Paketen am Standort Völklingen beklagen harte Arbeitsbedingungen und Lohnprellerei. In erster Linie machen sie dafür ihre Chefs verantwortlich, die Subunternehmer von Amazon sind. Doch interne Unterlagen legen nahe: Verträge zwischen Amazon und ihren Subunternehmern scheinen die Ausbeutung zu begünstigen.
Nachmittags bestellen und im besten Fall wird das Amazon-Paket schon am nächsten Tag nach Hause geliefert - für Kundinnen und Kunden ist das äußerst bequem. Doch damit das so funktioniert, müssen die Zusteller einen Knochenjob verrichten.
Acht Fahrer, die vom Verteilzentrum Völklingen-Wehrden aus für vier verschiedene Subunternehmen für Amazon Pakete ausgefahren haben oder das noch immer tun, haben dem SR ihre Erlebnisse geschildert. Die Fahrer berichten übereinstimmend davon, dass sie kaum leistbare Mengen an Paketen zustellen mussten, von enormem Zeitdruck und einer hohen körperlichen wie seelischen Belastung.
Pro Tag „immer 200, 250, 300 Pakete“, sagt Mustafa (*) der – wie alle Fahrer und Subunternehmer, die für diese Recherche Auskunft gegeben haben – anonym bleiben will. „Ich habe getragen wie ein Sklave, vom Morgen bis zum Abend.“
„Ich starte gegen zehn Uhr“, erzählt unabhängig davon Tomasz (*). „Und wenn um 20.00 Uhr Feierabend ist, dann kommst du heim, duschen, ins Bett.“ Denn über Tag waren es „mindestens 250 Pakete“.
Amazon legt Routen fest
Die täglichen Zustellrouten erstellt Amazon. Die einzelnen Subunternehmer – Amazon nennt sie DSP-Partner – weisen die vorgegebenen Touren dann ihren Fahrern zu.
Der SR ist gemeinsam mit dem Recherchezentrum Correctiv und der Nordsee-Zeitung den Schilderungen der Fahrer nachgegangen. Den Reportern vorliegende Routenpläne bestätigen deren Angaben. Sie zeigen Arbeitstage mit rund 160 Stopps und 240 Paketen oder sogar mehr. Das weicht von dem ab, was Amazon offiziell über das Arbeitspensum für Fahrer mitteilt.
In einem über die Webseite von Amazon Logistics öffentlich abrufbaren Webinar für DSP-Interessenten sagt ein Amazon-Manager, ein Subunternehmer könne „ungefähr damit rechnen, dass 135 Pakete auf einer Standardroute mit ungefähr 8,5 bis neun Stunden Arbeitszeit zugestellt werden können.”
Konfrontiert mit den Schilderungen der Fahrer teilt Amazon mit, dass bei Touren mit einer größeren Anzahl an Paketen „typischerweise” auch etwa Packstationen, Mehrfamilien- oder Hochhäuser dabei seien.
Abrechnung mit Fehlern
Viele der Fahrer, die Auskunft gegeben haben, berichten zudem von häufigem Frust wegen zu niedriger Lohnabrechnungen. Oft geht es darum, dass ihre Chefs, die Subunternehmer, Überstunden nicht bezahlten oder willkürlich Summen vom Lohn abzögen. Den Reportern vorliegende Unterlagen bestätigen derartige Unregelmäßigkeiten.
Arbeitnehmer-Beratungsstellen kennen solche Fälle zuhauf. „Da werden Stunden nicht bezahlt, es wird Urlaubsentgelt nicht gewährt”, beschreibt der Leiter der Beratungsstelle Wanderarbeit bei der Arbeitskammer des Saarlands, Egbert Ulrich. Häufig gebe es auch keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Er habe auch schon Subunternehmer gesehen, „die einfach gar keinen Lohn bezahlen”.
Amazon teilt mit, Lohnprellerei sei ein Vertragsbruch, „der zur Kündigung des Vertrags mit dem Lieferpartner führen würde”.
„Druck ungefiltert weitergeben“
Dass sich nach Auffassung von Beratungsstellen und Gewerkschaften dennoch solche Wild-West-Manieren im Umfeld von Amazon häufen, dürfte auch an den Verträgen zwischen Amazon und Subunternehmen liegen. Entsprechende Papiere, die SR, Correctiv und Nordsee-Zeitung vorliegen, zeigen: Die Vorgaben für Subunternehmer sind umfangreich. Branchenkenner halten deren wirtschaftlichen Spielraum indes für klein.
Mehrere Subunternehmer beklagen, dass das, was Amazon ihnen zur Deckung ihrer Kosten zahle, nicht ausreiche, um auskömmlich zu wirtschaften. „Der Druck wird dann wirklich ungefiltert, ungebremst auf die eigenen Mitarbeiter weitergegeben”, erklärt der Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz, Stefan Sell.
Ein ehemaliger Subunternehmer klagt an: Bei Amazon handele es sich um ein Ausbeutungssystem auf allen Ebenen. „Man kann kein erfolgreiches Amazon-Subunternehmen führen mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen.” Zur Wahrheit gehört aber auch: Amazon zwingt keinen Subunternehmer zu unredlichem Handeln.
Zugriff auf Lohnzettel
Arbeitsrechtler halten die Verträge zwischen Amazon und Subunternehmern jedoch für problematisch. Sie schränkten die unternehmerische Freiheit der Subunternehmen stark ein, findet Jura-Professor Manfred Walser von der Hochschule Mainz. Beispielsweise kann Amazon bestehende Verträge eigenmächtig und ohne Zustimmung ändern und bekommt von den Subunternehmen auf Geheiß interne Einblicke, etwa in die Gehaltsabrechnungen der Fahrer.
Den Zugriff auf solche Fahrer-Daten begründet Amazon als eigenen Beitrag, damit Fahrerinnen und Fahrer „fair und respektvoll behandelt werden“. Zu den übrigen Vorwürfen teilt Amazon allgemein mit, die hohe Zahl der Lieferpartner, die seit mehreren Jahren für Amazon arbeite, beweise „die Möglichkeit eines langfristigen wirtschaftlichen Erfolgs”. Weiter heißt es, die „Lieferpartner können ihre Geschäfte nach eigenem Ermessen führen”.
Was das am Ende in der Praxis heißt - das bekommen vor allem die Fahrer zu spüren. Tomasz erzählt, dass er nur noch ein bis zwei Monate Amazon-Pakete ausliefern werde. Nach seiner Beschäftigung bei zwei verschiedenen Subunternehmern habe er genug von dem Stress und Ärger.
( * ) Namen geändert
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Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von SR, der Nordsee-Zeitung und Correctiv. Das Recherchezentrum ist eine gemeinnützige Redaktion, die vor allem an investigativen Geschichten arbeitet. Correctiv arbeitet unabhängig und nicht gewinnorientiert und finanziert sich zu einem großen Teil über Spenden von Unterstützerinnen und Unterstützern. Mehr unter unter correctiv.org.