Anerkennen statt Anschreien – neue Erkenntnisse für Eltern
Das Anschreien von Kindern zählt nach neuen Erkenntnissen als Misshandlung - mit ebenso massiven Langzeitfolgen wie etwa nach körperlichen Übergriffen. Eine neuartige Kinderschutzvorlesung an der Uniklinik in Homburg soll Aufklärung schaffen.
Diese Woche beginnt eine neue Vorlesungsreihe zum Thema "Kinderschutz in Theorie und Praxis" an der Uniklinik in Homburg.
Das Angebot ist auch deshalb besonders wichtig, weil Kindesmisshandlung sehr häufig vorkommt: "In jeder Schulklasse sitzen zwei bis drei misshandelte Kinder und 90 Prozent der Fälle sind nicht aufgedeckt", sagt Eva Möhler, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes. Sie hat die Veranstaltung initiiert.
Emotionale Verfügbarkeit wichtig
Nach neueren Studienerkenntnissen gilt auch Anschreien von Kindern als verbale, emotionale Kindesmisshandlung. Dabei gehe es nicht um einmaliges Lautwerden. Vielmehr seien regelmäßige Äußerungen in Wut und Zorn gefährdend für ein Kind - der Inhalt sei dabei mindestens genauso wichtig wie die Lautstärke.
In der frühen Kindheit werden fast alle Erfahrungen durch die Eltern geprägt und gesteuert. "Damit Kinder sich gesund entwickeln, ist vor allem emotionale Verfügbarkeit wichtig", betont Möhler. "Dann haben Kinder auch bessere geistige Leistungen."
Eltern müssten eigene Kindheit aufarbeiten
Dazu zählt, dass Eltern erst einmal fähig sein müssen, die eigenen Emotionen zu erkennen und zu benennen. Oft hätten Eltern selbst schlechte Erfahrungen in ihrer Kindheit gemacht, über die sie sich auch nicht unbedingt bewusst sind. Ein sogenannter ACE-Fragebogen aus dem Internet kann an der Stelle helfen. "Darin werden zehn Punkte abgefragt, um zu würdigen, welches Gepäck die Eltern selbst mitbringen", so Möhler.
Auch Struktur im Alltag sowie Eltern-Kind-Aktionen ohne Übergriffigkeit oder Feindseligkeit sind in der Eltern-Kind-Beziehung wichtig. "Dazu zählt neben Anschreien auch ein Mit-den-Augen-rollen, gähnen und eine destruktive Satzmelodie", so Möhler. "Das sind alles Nervositätszeichen, die eine hohe Stressausschüttung beim Kind bewirken, weil es angenommen sein will und sich vital bedroht fühlt."
Veranstaltung ist offen für alle
Kinder leiden oft ein Leben lang unter den negativen Folgen von Misshandlung. Ziel der neuartigen Vorlesungsreihe ist es, Interaktionen mit Kindern zu fördern, die Teilnehmer für den Kinderschutz zu sensibilisieren, Kindesmissbrauch zu erkennen, Grundkenntnisse zu vermitteln und aufzuzeigen, wie wichtig beim Thema Kinderschutz interdisziplinäre Herangehensweisen sind.
Es ist das erste spezifische Studienangebot im Bereich Kindesmisshandlung, Eltern-Kind-Interaktion und Kinderschutz.
Wiedergutmachung nach Missbrauch am UKS
Die Vorlesungsreihe umfasst 15 Termine und ist Teil der Aufarbeitung und Wiedergutmachung nach den Missbrauchsfällen in den Jahren 2010 bis 2014.
"Die Uniklinik hat ja einen Wiedergutmachungsauftrag, den wir sehr ernst nehmen", so Möhler. Das Angebot ist offen für alle. Es richtet sich entsprechend an Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen, die mit Kinderschutz in Berührung kommen (Medizin, Lehramt, Psychologie, Jura), an Mitarbeiter der Uniklinik und weiteres Fachpersonal oder Interessierte. Die Veranstaltung ist hybrid geplant - eine Teilnahme ist also vor Ort oder online möglich.