Anfeindungen gegen Politiker auch im Saarland verbreitet

Anfeindungen gegen Politiker auch im Saarland verbreitet

Katrin Aue und Emil Mura   24.05.2024 | 12:01 Uhr

Körperliche Angriffe auf Politiker im aktuellen Wahlkampf hat es bislang im Saarland nicht gegeben. Aber eine SR-Umfrage zeigt: Bürgermeister, Ortsvorsteher und Mitglieder von Stadt- und Gemeinderäten werden beschimpft, beleidigt oder bedroht - wegen ihres politischen Engagements.

Vor einigen Wochen fand Stephan Tautz, Oberbürgermeister-Kandidat in Völklingen, einen Zettel mit einem aufgedruckten Fadenkreuz unter den Scheibenwischer seines Autos geklemmt. An den Autos seiner Frau und seines Sohnes ebenso. Dazu die Worte: „Raus aus Völklingen!“

Er interpretiert es als Drohung. „Im ersten Moment lächelt man drüber, im zweiten Moment, wenn man überlegt, was dieses Symbol bedeutet, eine Zielscheibe – man ist ein Ziel“, sagt der Vorsitzende der Vereinigung „Wir Bürger Völklingen“.

Vor allem nimmt er es ernst, weil schon seit Monaten Schreiben mit Verunglimpfungen gegen ihn im Umlauf sind. Und weil viele seiner Wahlplakate für die Kommunalwahl verunstaltet wurden – kein Zufall, denkt er.

Video [aktueller bericht, 24.05.2024, Länge: 3:36 Min.]
Verbale Angriffe auf Politiker im Saarland

„Solche wie dich sollte man erschießen!“

Stephan Tautz ist nur ein Beispiel von mehreren. Auf eine SR-Umfrage in allen Kreisen und Kommunen haben sich rund 100 haupt- und ehrenamtliche Politikerinnen und Politiker zurückgemeldet, es sind Landräte, Bürgermeisterinnen und Ortsvorsteher, Mitglieder von Stadt- und Gemeinderäten. Die Hälfte von ihnen sagt: Ich war noch nie mit Hass wegen meiner politischen Arbeit konfrontiert. Manche betonen sogar, dass sie Wertschätzung für ihr Engagement zurückkriegen.

Die andere Hälfte berichtet von Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen. Ein ehrenamtlicher Politiker aus Spiesen-Elversberg sagt, er musste hören: „Solche wie dich sollte man erschießen!“

Tendenz: der Ton wird rauer

Die Hemmschwelle sinke, der Ton werde allgemein rauer – das lesen wir in vielen Antworten auf unsere Anfrage. Landrat Sören Meng (SPD) aus Neunkirchen zum Beispiel erlebt Verleumdungen und Drohungen oft bei Facebook. „Leider kommt das in den letzten Jahren häufiger vor. Seit der Corona-Pandemie hat sich dies verschärft“, schreibt er. Auch Privates wie seine Hobbys und seine Familie seien schon Inhalt der Posts gewesen. Die Angelegenheit sei für ihn persönlich sehr belastend.

Timm Braun (CDU), Ortsvorsteher von Bliesmengen-Bolchen, ist ebenfalls vor allem in den sozialen Medien Beschimpfungen und Drohungen ausgesetzt. „Da wird auch mal dazu aufgefordert, dem Ortsvorsteher seinen Vorgarten zu fotografieren und das online zu stellen.“ Das beschäftige auch die Familie.

Themen: Migration, SVolt, Containerstellplätze

Bei den Anfeindungen geht es um ganz unterschiedliche Themen. Oft sind Dinge der Anlass, die in den Städten und Gemeinden gar nicht entschieden werden, etwa wie viele Geflüchtete in die Kommune kommen. Weitere Themen, die triggern: neue Windräder, der Kita-Standort, die Corona-Maßnahmen, Containerstellplätze, und viele mehr. Einer schreibt: „Hass auf Grüne allgemein.“

In der Gemeinde Überherrn sorgt unter anderem die geplante SVolt-Ansiedlung für viel Unmut gegenüber der Politik. Von dort erreicht uns die Rückmeldung: „Sowohl die Bürgermeisterin als auch Mitglieder unseres Gemeinderates sind mit Hass in Form von Beschimpfungen, Beleidigungen, Hetze, Schmähung, verbalen Anfeindungen und Verleumdung konfrontiert worden.“

Viele haben schon Anzeige erstattet, manche erfolglos

Der Umgang mit den Anfeindungen ist unterschiedlich. Manche versuchen, sie zu ignorieren. Claudia Forster-Bard (SPD) aus dem Gemeinderat Tholey etwa schreibt: „Es ist ein schmaler Grat, ob man überhaupt darauf reagieren soll oder es abhakt.“

Viele berichten, dass sie schon einmal oder mehrfach Anzeige bei der Polizei erstattet haben. Wolfgang Hübschen (CDU), Bürgermeister von Weiskirchen, schreibt uns, zwischen ihm und der Polizeiinspektion Nordsaarland sei konkret vereinbart worden, dass eventuell strafbare Anfeindungen umgehend angezeigt würden.

Manche schildern aber auch, dass ihre Anzeigen erfolglos waren. Und Stefan Tautz von „Wir Bürger Völklingen“ etwa hat seine Erlebnisse nicht angezeigt. Er brauche seine Energie für andere Dinge. Die Erfolgsaussichten einer Anzeige seien gering, davon ist er überzeugt.

Aumann: „Verlust für die Demokratie“

Der Saarländische Städte- und Gemeindetag (SSGT) dagegen empfiehlt allen Betroffenen von möglicherweise strafbaren Anfeindungen, Anzeige zu erstatten. Der Präsident Jörg Aumann verweist darauf, dass die Staatsanwaltschaft Saarbrücken eine eigene Ansprechperson benannt habe – für „Ehrverletzungsdelikte gegen Amts- und Mandatsträger/innen“. „Da wird sich drum gekümmert“, sagt Aumann.

Die Gefahr sei: Je mehr Politikerinnen und Politiker mit Hass und Drohungen konfrontiert sind, desto mehr könnten erwägen, ihr Amt oder ihr Mandat aufzugeben, oder gar nicht erst mit Politik anzufangen. Tatsächlich haben uns einzelne Betroffene zurückgemeldet, dass sie darüber nachgedacht haben, hinzuwerfen.

„Da droht ein Verlust für die Demokratie“, sagt Aumann.

Details zur Umfrage

Angefragt wurden Landräte, Bürgermeister, Ortsvorsteher und Mitglieder von Stadt- und Gemeinderäten. Es gab etwa 100 Rückmeldungen. Davon hatten etwa die Hälfte in den vergangenen Jahren Anfeindungen erlebt, darunter Beschimpfungen, Beleidigungen, Verleumdungen, Drohungen, teils sogar mit Waffengewalt und auch gegen die Familie.

Zu Anfeindungen führten eher bundespolitische Themen wie Migration, die Corona-Schutzmaßnahmen, die Energiewende, aber auch lokale Themen wie Containerstellplätze, Kita-Plätze und Bauvorhaben in der Gemeinde.

„Tatort“ sind oft soziale Medien. Anfeindungen kommen aber auch per E-Mail, am Telefon, am Wahlkampfstand, in der Kneipe, auf dem Fußballplatz usw.

Einzelne Politikerinnen und Politiker bzw. Ehrenamtler haben überlegt, wegen der Anfeindungen aufzuhören.


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