Älterer Mann, der sich unter einem Baum sitzend die Nase putzt (Foto: IMAGO / Westend61)

Allergien im Erwachsenenalter nehmen zu

Sandra Schick   02.12.2024 | 06:30 Uhr

Mitte 40 und plötzlich eine Allergie? Das ist nicht ungewöhnlich - Erwachsene im mittleren oder fortgeschrittenen Alter entwickeln immer häufiger allergische Reaktionen. Die Allergologin Prof. Claudia Pföhler von der Homburger Uniklink verrät im Interview, welche Ursachen das haben kann und welche Medikamente Allergien begünstigen.

Lange Zeit dachte man, Allergien entwickeln sich vor allem in der Kindheit. Wer in dieser Zeit keine Allergie bekommt, der bleibt auf Dauer verschont. Doch das ist ein Trugschluss, wie die Allergologin Prof. Claudia Pföhler von der Universitätsklinik in Homburg im Gespräch mit dem SR verrät.

SR.de: Immer häufiger hört man von Erwachsenen im mittleren oder fortgeschrittenen Lebensalter, die - scheinbar ganz plötzlich - eine Allergie bekommen, obwohl sie in ihrem Leben zuvor nie derartige Probleme hatten. Gibt es das tatsächlich häufiger?

Prof. Claudia Pföhler: Ja, diese Beobachtung machen wir tatsächlich seit einigen Jahren. Ich bin sogar selbst betroffen. In der Menopause habe ich einen Heuschnupfen entwickelt, ohne irgendeine familiäre Vorbelastung.

Früher hat man gedacht, wer als Kind nicht allergisch ist, der bleibt auch sein Leben lang verschont. Heute sehen wir, dass Patienten im mittleren Lebensalter gehäuft Allergien bekommen. Bei Frauen gibt es möglicherweise auch eine hormonelle Komponente, zum Beispiel durch Eintritt in die Menopause, Verlust von Östrogenen. Für die Männer gibt es noch keine Erklärungen.

Prof. Claudia Pföhler (Foto: UKS)
Prof. Claudia Pföhler

Aber es ist tatsächlich so, dass wir eine Zunahme von Allergien bei älteren Menschen haben. Es laufen verschiedene Langzeitstudien, aber da dauert es einfach eine Zeit, bis man da belastbare Daten hat. Allerdings nehmen auch die Allergien bei Kindern weiter zu.

SR.de: Gibt es denn bestimmte Auslöser oder begünstigende Einflüsse, die speziell bei Älteren eine Rolle spielen?

Prof. Claudia Pföhler: Bei älteren Menschen können Medikamente eine Rolle spielen. Viele nehmen ja beispielsweise Cortison oder andere Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken. Das könnte einen begünstigenden Einfluss haben. Aber abschließende Beweise gibt es dafür leider noch nicht.

Was leider auch begünstigend wirkt, sind Magensäuretabletten. Pantoprazol und so weiter. Diese Präparate werden wie am Fließband verschrieben, quasi jeder zweite Patient nimmt sie. Sie erhöhen den PH-Wert in unserem Magen, sodass dieser gar nicht mehr in der Lage ist, das Nahrungsmittel so zu verdauen, wie es sein sollte.

Das heißt, die Lebensmittel kommen im Dünndarm in einer Form an, die so eigentlich nicht vorgesehen ist. Das scheint auch ein Stimulus für das Immunsystem zu sein. Das Immunsystem reagiert dann möglicherweise auf etwas, das eigentlich durch die Magensäure normalerweise schon längst hätte zerstört sein müssen.

Wir sehen auch manchmal bei Patienten, dass sie bestimmte Dinge wie Nüsse zum Beispiel normalerweise vertragen. Aber wenn sie vorher eine Magensäuretablette genommen haben, bekommen sie allergische Symptome, teilweise auch schwere. Das ist gar nicht ungewöhnlich. Aber daran wird tatsächlich viel zu wenig gedacht.

SR.de: Gibt es bestimmte Allergien häufiger bei älteren Menschen? Oder sind es die üblichen Klassiker wie Hausstaubmilben, Gräserpollen und so weiter?

Prof. Claudia Pföhler: Häufig ist alles, was fliegt, also Gräserpollen, Birkenpollen, usw., Hausstaubmilben natürlich auch.

Nahrungsmittelallergien hingegen sind im Erwachsenenalter eher eine Seltenheit. Da sind es dann eher Unverträglichkeiten, Reizdarmsyndrom, Histaminintoleranz und stressbedingte Probleme.

Was es bei Erwachsenen eher gibt, sind pollenassoziierte Nahrungsmittelallergien, also Kreuzreaktionen: Wenn man beispielsweise gegen Birkenpollen allergisch ist, gibt es mögliche Kreuzreaktionen mit Apfel, Mandel, Haselnuss oder Steinobst. Das sehen wir auch vermehrt im Erwachsenenalter.

Da braucht es eine gute Beratung. Diese Form der Allergie ist natürlich lästig für den Patienten. Aber die meisten dieser Nahrungsmittel kann man durch Kochen oder Backen allergenarm machen. Das heißt, die Patienten können den rohen Apfel nicht essen, aber im Apfelkuchen oder als gekochtes Apfelmus gibt es keine Probleme.

SR.de: Wird das bei älteren Menschen eigentlich auch immer richtig diagnostiziert oder haben das viele Ärzte noch nicht so auf dem Schirm, dass auch Ältere eine Allergie neu entwickeln können?

Prof. Claudia Pföhler: Ich glaube, da gibt es tatsächlich noch keine Symptomwachsamkeit. Nach dem Motto: Das kann nicht sein, ich war noch nie allergisch. Aber wir sehen das tatsächlich vermehrt, dass wir auch bei älteren Menschen plötzlich Fälle von Neurodermitis haben - auch schwere Fälle. Auch andere allergische Reaktionen, die wir in der Häufung vorher nicht gesehen haben.

Jetzt ist natürlich die Frage: Werden die uns jetzt einfach nur häufiger vorgestellt? Aber ich glaube schon, dass die Diagnostik zu gering ausfällt. Das ist noch nicht so verankert bei den Hausärzten oder Nicht-Fachärzten.

SR.de: Kann man der Entstehung von Allergien im Alter vorbeugen?

Prof. Claudia Pföhler: Insgesamt ist die Studienlage in der Hinsicht noch sehr heterogen, aber möglicherweise kann unser Mikrobiom im Darm eine Rolle spielen. Also vielleicht könnte es helfen, Probiotika zu nehmen, um die gute Darmflora zu stärken, damit die schlechten Keime nicht Überhand nehmen.

In Bezug auf die Kindheit weiß man heute, dass man sich am besten ab der frühesten Kindheit möglichst allem aussetzt, was geht. Also auch in Bezug auf Nahrung. Dann entwickelt sich eher eine Toleranz. Aber wenn man künstlich Dinge meidet - aus welchen Gründen auch immer - können sich eher Allergien entwickeln.

SR.de: Manchmal hört man ja auch Berichte, dass Allergien eine Pause in der Lebensmitte machen. Ist da was dran?

Prof. Claudia Pföhler: Also bei den Frauen ist Östrogen wahrscheinlich schon ein schützendes Hormon. Das führt in der Regel zum Beispiel dazu, dass Schwangere weniger oder sogar gar keine Beschwerden mit ihren Allergien haben. Wahrscheinilch durch den Hormonspiegel.

Aber wer eine Allergie hat, ist sicher auch genetisch dazu geneigt, auch im Laufe seines Lebens weitere Allergien zu entwickeln.

Über dieses Thema hat auch der SAARTEXT am 02.12.2024 berichtet.


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