1984 – IDS Scheer wird gegründet
Als der Saarbrücker Wirtschaftsinformatikprofessor August-Wilhelm Scheer 1984 sein Software- und Beratungsunternehmen aus der Universität des Saarlandes heraus gründete, konnte noch keiner ahnen, dass IDS Scheer einmal zu den wichtigsten deutschen Unternehmen in diesem Bereich gehören würde. Nach SAP und der Software AG entwickelte sich IDS Scheer zum drittgrößten deutschen Softwarehaus.
Zeitweise griffen 90 Prozent der deutschen DAX-Unternehmen auf die Dienste des Saarbrücker IT-Dienstleisters zurück. IDS Scheer kümmerte sich um ihre Bedürfnisse rund um die Management- und Verwaltungsprogramme von SAP. Mit seiner Produktfamilie Aris organisierte IDS Scheer Geschäftsprozesse von Unternehmen, etwa den Einkauf, den Vertrieb oder das Rechnungswesen. Aris funktionierte wie eine Art digitaler Rohbau, die Programme von SAP füllten diesen Rohbau.
„Silicon-Valley-Atmosphäre“ im Saarland
Das Erfolgsrezept: Schneller, günstiger und kundenfreundicher als die Konkurrenz sein. 1999 ging IDS Scheer an die Börse und wurde im TecDAX gelistet – als eines der 30 wichtigsten Technologieunternehmen in Deutschland.
Der Philanthrop und Jazz-Liebhaber Scheer beriet auch Landes- und Bundesregierungen und brachte mit seinem Unternehmen einen Hauch von „Silicon-Valley-Atmosphäre“ ins Saarland. Allerdings lief bei IDS Scheer nicht alles glatt. Anfang der 2000er Jahre stiegen die Ausgaben schneller als der Umsatz und die Gewinnmarge sank. International gelang der Durchbruch nie wirklich. 2008 sagte Scheer der Wirtschaftswoche, dass das Management das Unternehmen nicht mehr im Griff habe.
Anteilseigner mit "Squeeze Out" abfinden
Im Juli 2008 machten Gerüchte die Runde, dass SAP IDS Scheer übernehmen will, trieben den Aktienkurs hoch und wurden von beiden Unternehmen dementiert. Ein Jahr später, im Sommer 2009 war dann klar: IDS Scheer wird von der Darmstädter Software AG übernommen. Der Kaufpreis für das Aktienpaket sollte bei rund 480 Millionen Euro liegen – die größte Unternehmensübernahme des Jahres in Deutschland.
Pro IDS-Scheer-Aktie waren das fast 15 Euro – bei einem damaligen Kurs von etwa 10,60 Euro. Ein großer Teil des Geldes floss an Scheer, der bis zum Verkauf an die Software AG einen 41-prozentigen Anteil an seinem Unternehmen hielt. Sieben weitere Prozent steuerte sein Mitgründer Alexander Pocsay bei. Das Ziel der Software AG: Den Anteil an IDS Scheer auf 95 Prozent zu erhöhen und dann die verbliebenen Anteilseigner in einem sogenannten „Squeeze Out“ abzufinden.
Fusion von IDS Scheer und Software AG
Der Saarbrücker Zeitung sagte Unternehmensgründer Scheer, dadurch solle ein deutsches Softwarehaus entstehen, das weltweit mithalten kann. Der neue Konzern peilte einen Umsatz von einer Milliarde Euro im Jahr an. Bis zum Herbst 2009 drückte die Software AG aufs Tempo: Bereits Ende Oktober besaß das Darmstädter Unternehmen über 90 Prozent der Scheer-Aktien. Die Folge: IDS Scheer flog aus dem TecDAX, weil sich nun weniger als zehn Prozent der Aktien im Streubesitz befanden.
August Wilhelm Scheer zog sich unterdessen vom Aufsichtsratsvorsitz zurück. Auch sein Mitgründer und Stellvertreter Alexander Pocsay gab seinen Posten auf.
Im Juli 2010 war es dann soweit: Die Software AG und IDS Scheer verschmolzen zu einem Unternehmen – trotz massiven Widerstands zahlreicher Kleinaktionäre. Sie waren unzufrieden mit dem Umtauschkurs, den die Software AG für ihre Aktien bot: Für 33 IDS-Scheer-Papiere sollten sie lediglich vier Aktien der Software AG erhalten.
Turbulente Aktionärsversammlung
Die Kleinanleger waren wütend: Sie sprachen von einer „Schweinerei“ und kritisierten das Gutachten, das diesen Kurs festgelegt hatte als nicht objektiv: Zu diesem Kurs hätte die Aktie der Software AG bei 140 Euro stehe müssen, an der Frankfurter Börse war sie dagegen mit knapp 87 Euro dotiert. Auch die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger kritisierte das, ebenso Unternehmensgründer Scheer: Dem SR sagte er, er hätte sich von Vorständen „mehr Fingerspitzengefühl“ und für sein früheres Unternehmen einen anderen Schluss gewünscht.
Die letzte Aktionärshauptversammlung von IDS verlief dementsprechend turbulent mit stundenlangem Streit und mehreren Unterbrechungen, bis die Übernahme des Saarbrücker Unternehmens beschlossen werden konnte.
Elfstöckiger Scheer-Tower an der Uni
Firmengründer August-Wilhelm Scheer stieg im Frühjahr 2014 wieder ein. Er kaufte die Beratungssparte seines ehemaligen Unternehmens wieder von der Software AG zurück. Seit 2015 trägt sie den Namen Scheer GmbH und betreut von Saarbrücken aus Kunden in mehreren Ländern.
Der Unternehmenssitz auf dem Saarbrücker Universitätscampus ist weithin sichtbar: Der rote Scheer Tower mit seinen elf Stockwerken steht seit 2013 am Nordeingang der Hochschule, seit 2019 gibt es einen zweiten, kleineren Büroturm daneben.
Die Baukosten der beiden Türme lagen bei rund 40 Millionen Euro. Neben etablierten Firmen haben sich hier auch viele Start-Ups und andere IT-Unternehmen angesiedelt – und sorgen dafür, dass Saarbrücken im Bereich der Softwareentwicklung auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielt.